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Etappe 7: Ngawal – Braga (3.470 m), 3.30 h

Wir waren die Letzten, die am Morgen die Lodge verließen. Und das, obwohl wir schon um 9 Uhr aufgebrochen sind. Im Vergleich zu den letzten Tagen war das eigentlich recht früh, zumal wir heute den entspanntesten Streckenabschnitt auf dem ganzen Trek vor uns hatten. Denn auch unser heutiger Tag war der Akklimatisierung gewidmet, weswegen wir zur Abwechslung mal abstiegen, statt noch mehr an Höhe zu gewinnen.

Wir kamen dem Pass immer näher. Nur noch etwa 9 km von Ngawal entfernt lag schon Manang, das letzte richtige Dorf auf dieser Seite des Passes. Die meisten Trekker legen in Manang einen Akklimatisierungstag ein, da dieses Dorf recht viel zu bieten hat. Es gibt nette Unterkünfte, leckere Bäckereien, Shops für Souvenirs und Trekking-Ausrüstung sowie einige schöne Möglichkeiten für Side-Trips. Zum Beispiel kann man von Manang aus einen dreitägigen Ausflug zum traumhaften Tilicho Lake machen, der als höchstgelegener See der Erde gilt, obwohl er es scheinbar gar nicht ist. Er liegt auf 4.919 m Höhe und ist deswegen für die Akklimatisierung bestens geeignet. Was den Tilicho Lake aber so besonders macht, ist die sogenannte Grande Barriere am südwestlichen Seeufer – eine steile, fast schon angsteinflößende Eiswand mit der Tilicho Peak auf 7.134 m Höhe. Das Problem dabei: Der Weg zum Tilicho Lake hat es echt in sich. Er führt teilweise auf einem sehr engen Pfad durch eine äußerst steile Landslide-Area mit hoher Steinschlaggefahr und tiefem Abgrund neben den Füßen. Für uns war das jedenfalls nichts, so gerne wir den See auch gesehen hätten.

Weniger schwindelfreie Menschen wie ich können stattdessen einen Tagesausflug zum Ice Lake auf 4.635 m Höhe machen. Man liest immer wieder, dass zwar der Ice Lake selbst nicht sonderlich schön ist, aber dafür die Aussicht die Beste auf dem ganzen Circuit. Allerdings liest man auch, dass der Weg dort hin der anstrengendste Part auf dem Trek sei. Das wollten wir am nächsten Tag herausfinden.

Ausgangspunkt für den Ausflug zum Ice Lake ist das kleine Dorf Braga ca. 30 Minuten vor Manang. Um also nicht noch einmal von Manang zurücklaufen zu müssen, wollten wir uns einfach gleich eine Lodge in Braga suchen. Von Ngawal aus führen drei Wege nach Braga. Der kürzeste Weg führt zunächst direkt hinunter ins Tal und dort dann weiter über eine sandige Straße und dauert ca. 2 Stunden. Von dieser Strecke hat uns aber die Dame in unserer Lodge abgeraten, weil sie einfach viel zu staubig ist. Ein zweiter Weg nimmt eine zusätzliche Stunde in Anspruch und verläuft durch das alte Dorf Julu, bis er dann irgendwann in die staubige Straße mündet. Und ein dritter Weg verläuft die ganze Zeit oben am Berghang, bietet einen tollen Ausblick und dauert über vier Stunden. Wir wählten die mittlere Variante, weil wir zeitig in Braga ankommen wollten. Wir mussten dringend Wäsche waschen und unsere Haare konnten auch mal wieder etwas Seife vertragen. Die letzten Tage war das nicht möglich gewesen, weil wir immer erst so spät angekommen waren, dass die Sonne schon verschwunden war. Jetzt aber hatten wir die Chance, die warme Mittagssonne zu nutzen, um Wäsche und Haare trocknen zu lassen. Und höchstwahrscheinlich war Braga vorerst auch der letzte Ort mit einer warmen Dusche. Linda und Thomas entschieden sich für die längere Route mit der tollen Aussicht. Wir einigten uns daher schon beim Frühstück auf eine bestimmte Unterkunft (von der ein Plakat neben unserem Tisch hing) sowie darauf, dass Fab und ich gleich zwei Zimmer besorgen. Und so würden wir uns dann am Nachmittag direkt wiederfinden.

Wir starteten die Tour zunächst gemeinsam, da unser Weg bis Julu der Gleiche war. Wir liefen Richtung Norden, noch etwas den Berg hinauf und von dort an weiter nach Westen. Die Aussicht war einfach absolut unglaublich. Wir waren inzwischen auf einer Höhe, auf der man sich den Bergriesen schon richtig nahe fühlte. Die Berge um uns herum waren allesamt so groß, dass wir schon zu tun hatten, sie überhaupt irgendwie auf ein Foto zu bekommen. Mein großes, geliebtes Teleobjektiv hätte ich da getrost zu Hause lassen können. Irgendwann kamen wir zu einem Kloster mit einer großen Chörte im Vordergrund und von da an ging es schließlich steil bergab durch einen ziemlich kargen, sandigen Wald. Dann erreichten wir das alte, verlassene Dorf Julu.

Chörte auf dem Weg nach Julu
Julu

Wir trennten uns von Linda und Thomas, die von hier an wieder steil bergauf mussten. Nach dem gestrigen Tag waren wir aber heilfroh, dass uns heute kein Aufstieg mehr bevorstand. Stattdessen durchquerten wir das kleine Dorf mit seinen teils schon zerfallenen Steinhäusern und stiegen weiter bergab. Der Weg war auch hier ziemlich sandig, warum auch immer.

Auf dem Weg nach Braga

Wir folgten ihm bis zur Straße und dieser dann bis zum nächsten Dorf. Dort angekommen suchten wir verzweifelt nach der Unterkunft, auf die wir uns mit den Anderen geeinigt hatten. Aber wir konnten sie nicht finden. Wir liefen das ganze Dorf zwei Mal ab, aber keine der Lodges trug den Namen New Yak Hotel. Wir holten unseren Wanderführer heraus und lasen uns die Beschreibung noch einmal ganz genau durch. „New Yak Hotel (Dorfbeginn links)“ stand da. Aber genau dort waren wir und das Hotel war weit und breit nicht zu finden. Wir fingen langsam an, ernsthaft an uns zu zweifeln. Wir studierten die Karte nochmal ganz genau und merkten dann, dass irgendwie überhaupt nichts zu passen schien. Da wurde uns dann klar, dass wir noch gar nicht in Braga waren, sondern in einem kleinen Dorf davor. Da konnten wir natürlich echt lange suchen…

Als wir dann 20 Minuten später wirklich in Braga ankamen, war das große New Yak Hotel auch direkt das Erste, was uns in den Blick fiel. Verglichen mit den anderen Steinhäusern auf dieser Höhe sah das Hotel tatsächlich fast wie ein richtiges Hotel aus. Es war groß und stilvoll, sah aber ziemlich verlassen aus. Eine Treppe führte hoch zum Dining Room, daneben stand eine kleine Bäckerei. Wir gingen die Treppe hoch und fanden dort einen Einheimischen, den wir nach Zimmern fragten. Er holte eine Dame, die uns zwei Zimmer und die Dusche zeigte. Wir waren sofort verliebt. Nach den letzten Tagen sah das hier nach echtem Luxus aus. Wir hatten ein Bad auf dem Zimmer, mit einem richtigen Klo zum Hinsetzen – und das war sogar sauber! Die Zimmer kosteten hier zwar etwas, aber die 2,- Euro war es uns definitiv wert. Wir stellten unsere Rucksäcke ab und nutzten die Zeit, in der wir hier noch alleine in der Unterkunft waren. Die Dusche war direkt neben unserem Zimmer und da außer uns noch keine Gäste da waren, gab es auch noch heißes Wasser. Allerdings kam aus dem Duschkopf nur dann Wasser raus, wenn man ihn gerade nach unten hielt und selbst dann war es so wenig und schwach, dass es kaum zum Waschen reichte. Außerdem wurde das Wasser durch Gas erhitzt und war teilweise kochend heiß. Eine Anzeige auf dem Erhitzer zeigte ständig zwischen 50 und 60 °C an. Ein wirkliches Vergnügen war die Dusche also nicht. In Nepal ist es aber so, dass der Duschschlauch an einen Wasserhahn angeschlossen ist, der etwa auf Bauchhöhe aus der Wand kommt. Man kann dann wie bei uns in der Badewanne zwischen Wasserhahn und Dusche hin- und herschalten. Da aus dem Wasserhahn ein normaler, kräftiger Wasserstrahl kam, hab ich dann irgendwann auf Wasserhahn geswitcht und mich einfach unter den Hahn auf den Boden gehockt. Das ging erstaunlich gut, war aber eine recht interessante Angelegenheit. Nach diesem Duschabenteuer machte ich mich über unsere Wäsche und dann brauchten wir erstmal etwas zu Essen. Ich gönnte mir einen riesigen Gemüsebürger und Fab sich ein Yak-Cheese-Sandwich. Sollte irgendwer diesen Trek machen wollen: Unbedingt im New Yak Hotel in Braga essen! Das Essen ist der Wahnsinn!

Kurz darauf erreichten uns auch Linda und Thomas, die von ihrem Umweg absolut begeistert waren und immer wieder meinten, dass wir die allerschönste Aussicht verpasst hätten. Wir suchten uns ein Plätzchen neben dem Holzofen im Dining Room heraus, legten unsere nasse Wäsche ans Feuer und bestellten noch mehr von dem leckeren Essen. Hier fühlten wir uns richtig wohl.

Etappe 6: Lower Pisang – Ngawal (3.680 m), 7 h

Am Morgen wachte ich auf und fühlte mich fast wie neu geboren. Trotz des anstrengenden Tages gestern ging es mir blendend und ich war voller Tatendrang. Offenbar bekam mir die viele Bewegung in der frischen Bergluft ziemlich gut. Es stand daher außer Frage, dass wir auch heute weiterwandern würden. Da die Etappen nun aber wegen der Höhe immer kürzer wurden, konnten wir uns ganz gemütlich Zeit lassen und entspannt in den Tag starten.

Wir befanden uns inzwischen auf 3.200 m Höhe und damit im Gefahrenbereich für die Akute Höhenkrankheit. Ab jetzt mussten wir ganz besonders auf unsere Körper hören und ihnen ausreichend Zeit geben, sich langsam an die Höhe anzupassen. Deswegen auch die kürzeren Etappen. Denn ab einer Höhe von 3.000 m gilt die Regel, dass man die Nacht nicht mehr als 500 m über der letzten Nacht verbringen sollte. Im besten Fall sollte man tagsüber mehr als 500 Höhenmeter aufsteigen und für die Nacht dann wieder so weit absteigen, dass man letztendlich maximal 500 m höher schläft als in der Nacht davor. Praktischerweise findet man die Dörfer auf dem Annapurna Circuit auch ziemlich genau in diesen Abständen. Ein weiteres Muss für die richtige Akklimatisierung ist viel trinken (mindestens 4 Liter am Tag) und langsam laufen. Und dazu sollte man sich auch wirklich zwingen, denn die Höhenkrankheit kann sehr gefährlich werden. Und sie ist keineswegs selten. Drei Rettungshelikopter pro Tag fliegen im Schnitt zum Annapurna Trek wegen Leuten, die den Abstieg nicht mehr rechtzeitig geschafft haben. Leider ist es inzwischen sehr verbreitet, dass Trekker vorsorglich Medikamente gegen die Höhenkrankheit nehmen. Das Problem dabei ist aber, dass diese Medikamente die Höhenkrankheit nicht verhindern können, sondern lediglich die Symptome lindern. Die Folge ist dann, dass man die Höhenkrankheit überhaupt nicht bemerkt. Die einzigen Mittel sind also eine gute Akklimatisierung und im Ernstfall der rechtzeitige Abstieg.

Wegen der Akklimatisierung haben wir uns für einen Umweg über das kleine Dorf Ngawal entschieden, der einen zusätzlichen Tag in Anspruch nimmt. Während der eigentliche Weg auf der Jeep-Piste bis zum letzten größeren Ort vor dem Pass verläuft, liegt Ngawal auf der sogenannten High Route. Statt also weiter wie bisher am Fluss entlangzulaufen, würden wir heute einen Berg bis auf knapp 3.800 m hinaufsteigen, dort beim Wandern die Aussicht auf das Tal genießen und morgen wieder einige Meter absteigen. Das allerdings bedeutete, dass wir uns heute von Cian verabschieden mussten, der für diesen Umweg keine Zeit hatte. Von jetzt an waren wir nur noch zu viert.

Wir starteten gegen 10 Uhr in unsere heutige, ca. 10 km lange Etappe. Obwohl wir dank unseres tollen Wanderführers bereits wussten, dass uns ein heftiger Aufstieg bevorstand, machten wir uns nichts Böses ahnend auf den Weg Richtung Norden. Eine gute dreiviertel Stunde liefen wir ganz entspannt fast ausschließlich geradeaus, vorbei an einem kleinen See und einer Reihe von Gebetsmühlen. Von hier aus konnten wir schon den Berg sehen, den es heute zu erklimmen galt. Ganz oben war ein Plateau mit einer großen Chörte zu erkennen, die zum Dorf Gyharu gehört. Wenn man es bis dort hin geschafft hat, ist das Schlimmste schon vorbei. Aber schon von hier unten sah der Weg nach oben extrem anstrengend aus. Wir überquerten noch eine Hängebrücke und dann ging es los. Auf einem steinigen, teils sandigen Pfad ging es im Zick-Zack steil bergauf. Fast 400 Höhenmeter lagen in der nächsten Stunde vor uns. Zum ersten Mal war deutlich zu spüren, dass der Sauerstoffgehalt in der Luft inzwischen drastisch abgenommen hatte. Wir waren völlig außer Atem, kamen nur schleppend voran und mussten ständig Verschnaufpausen machen. Nur Thomas schien das Alles mal wieder kaum zu interessieren. Er war kaum aufzuhalten, marschierte immer wieder voraus und meinte irgendwann sogar, er würde dann oben auf uns warten. Wir dagegen wären trotz unserer eigentlichen Fitness am liebsten auf allen Vieren gekrochen. Letztendlich dauerte der Aufstieg auch deutlich länger als unser Wanderführer dafür angesetzt hatte, aber dann kam der große Moment, an dem wir endlich die Chörte erreichten. An diesem Punkt wurde uns auch bewusst, was für eine atemberaubende Aussicht wir die ganze Zeit im Rücken hatten. Von hier oben waren die Annapurna II mit ihren 7.937 m und daneben die Annapurna IV mit ihren 7.525 m zum Greifen nahe. Man konnte die meterhohen Schneemassen sehen und schon fast die Gletscher knacken hören. In diesem Moment hatte sich die ganze Anstrengung der letzten Stunde und überhaupt der ganzen letzten Tage mit einem Mal voll ausgezahlt.

Ortseingang von Ghyaru mit Blick auf Annapurna II
Annapurna II (7.937 m)

Neben der Chörte führte ein kleines Steintor in das Bergdorf Ghyaru. Direkt am Ortseingang stand ein kleines Teahouse mit einer Terrasse, von der aus man das Panorama in vollen Zügen genießen konnte. Wir setzten uns an einen Tisch und atmeten erst einmal tief durch. Eigentlich wollten wir erst in einem anderen Teahouse essen, aber alle Anderen waren bereits mit Trekkern gefüllt und die Inhaber erklärten uns, dass wir auf unser Essen wohl mindestens zwei Stunden warten müssten. Nur das kleine Restaurant am Ortseingang war relativ leer. Eine nette, alte Dame schmiss den Laden ganz alleine. Sie schien völlig gestresst, zauberte uns aber in Lichtgeschwindigkeit ein leckeres Essen und brachte uns dann noch Samosas und Apfelkuchen vom Vormittag. Während die anderen Drei auf der Terrasse des Restaurants die Ruhe genossen, ging ich mit den Kameras zurück zur Chörte und machte ein paar Bilder. Plötzlich rief ein anderer Fotograf, ich solle mich zur Annapurna II umdrehen. Eine gigantische Lawine hatte sich gelöst und rollte den Berg hinunter, gehüllt in eine große Schneewolke.

Lawine an der Annapurna II
Lawine an der Annapurna II

Ich ging zurück zum Rest der Gruppe. Dummerweise waren die anderen Drei gerade von der Terrasse ins Esszimmer umgezogen und hatten dadurch die Lawine verpasst. Wir blieben dann noch etwas sitzen, tranken unseren Tee und beobachteten die alte Dame dabei, wie sie hastig ihre Küche aufräumte, das ganze Mittagsgeschirr in einer großen Edelstahlschüssel abwusch und anschließend zum Trocknen in die Sonne stellte. Ich weiß nicht, welche Termine sie an diesem Tag noch hatte, aber jedenfalls hatte sie es offenbar sehr eilig. So eilig, dass sie uns Zettel und Stift auf den Tisch legte und uns mit den Worten „I trust you“ unsere eigene Rechnung schreiben ließ.

Zum Glück hatten wir den harten Part des Tages tatsächlich schon hinter uns gelassen. Von Ghyaru aus war der weitere Weg einigermaßen eben und sehr angenehm zu laufen. Dabei begleitete uns die ganze Zeit eine Wahnsinns-Aussicht auf das unter uns liegende Manang-Tal mit seinem eisblauen Fluss sowie auf den hinter uns liegenden heiligen Berg und die riesige Bergwand der Annapurna-Kette auf der anderen Flussseite.

Manang-Tal

Nach ca. zwei Stunden erreichten wir dann das kleine Bergdorf Ngawal (3.680 m), in dem wir heute übernachten wollten. Die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden und alles war in Schatten gehüllt. Da wurde uns klar, dass uns eine verdammt kalte Nacht bevorstand. In unserer Lodge gelang es Fab dann aber, noch eine zusätzliche Decke zu organisieren, die wir auch echt brauchten. In den Nächten waren es inzwischen mehrere Grade Minus und natürlich gab es auch hier keine Heizungen in den Zimmern. Es war inzwischen so eiskalt, dass die Wasserhähne nachts aufgedreht bleiben mussten, damit die Rohre nicht zufrieren. Es wurde dann sogar vorsorglich eimerweise Wasser für den Morgen abgefüllt, u.a. um dieses dann aufzukochen und über die teils doch gefrorenen Rohre zu kippen.

In Ngawal gibt es schon nur noch drei Lodges und die sind auch dementsprechend voll. Viele Möglichkeiten, anderen Trekkern aus dem Weg zu gehen, gibt es auf diesen Höhen nicht mehr. Zumal wegen der Kälte auch alle im Dining Room versammelt sind, in dem es immer einen kleinen Holzofen gibt. Da wird es dann mitunter schon recht laut und geschäftig, vor allem aber wartet man einfach eeewig auf sein Essen. Dazu sollte man vielleicht wissen, dass alle Speisen der Reihe nach einzeln entsprechend der Bestellungsreihenfolge gemacht werden. Wird also drei Mal Suppe bestellt, dann wird nicht etwa ein großer Topf gemacht, sondern dann werden nacheinander drei Suppen gekocht. Ich glaube, nur Dal Bhat wird in größeren Mengen gemacht, aber auch das ist wohl nicht überall so. Jedenfalls mussten wir an diesem Abend über zwei Stunden auf unser Essen warten, was absolute Folter war. Schon bei der Ankunft in der Lodge hatten unsere Mägen geknurrt und dann mussten wir die ganze Zeit zuschauen, wie Einer nach dem Anderen um uns herum sein Essen bekam. Wir versuchten, uns die Zeit mit einem Kartenspiel zu vertreiben, aber wir waren der Verzweiflung nah.

Etappe 5: Chame – Lower Pisang (3.200 m), 6.30 h

Da wir hier in Chame endlich unseren längst überfälligen Ruhetag einlegen wollten, blieb der Wecker heute mal aus. Natürlich waren wir trotzdem relativ zeitig wach, da wir auch am gestrigen Abend wieder sehr früh ins Bett gegangen waren und anschließend gute 12 Stunden geschlafen hatten. Allerdings war die Nacht nicht sonderlich angenehm gewesen, da der Rauch am Abend meinem Hals ziemlich zugesetzt hatte und ich dadurch die ganze Nacht mit Halsschmerzen und Husten zu kämpfen hatte. Ein Erholungstag war jetzt genau das, was ich brauchte. Und zum Glück wollten auch die anderen Drei heute in Chame bleiben, sodass uns ganz sicher nicht langweilig werden würde.

Wir blieben noch etwas in unseren Betten liegen und genossen die Ruhe, bevor wir gegen 8 Uhr nach nebenan in den Dining Room gingen. Dort trafen wir auch den Rest unserer kleinen Gruppe. Offenbar waren wir mal wieder so ziemlich die einzigen Gäste in dieser Lodge, was uns etwas verwunderte, da eigentlich fast alle Trekker in Chame übernachten. Für uns war das natürlich klasse, weil wir in Linda, Thomas und Cian eine großartige Wandergruppe gefunden hatten und dadurch nicht so den großen Drang verspürten, haufenweise Leute kennenzulernen. Die komplette Unterkunft für sich alleine zu haben bedeutet ja schließlich auch, dass es ruhiger ist, man eine höhere Chance auf eine warme Dusche hat und das Essen schneller fertig ist. Dann aber kam leider genau das, was kommen musste: Linda und Thomas wollten bereits heute die nächste Etappe laufen, da Linda inzwischen wieder fit war. Und Cian, der zwar stark erkältet war und immer noch starke Schmerzen in den Beinen hatte, wollte sich den Beiden anschließen. Sein Problem war, dass er viel zu wenig Zeit für den Trek eingeplant hatte und er sich einen Ruhetag einfach nicht leisten konnte. Fab und ich aber hatten mehr als genug Zeit eingeplant, nämlich für genau solche Situationen wie die Jetzige. Trotzdem hatten wir überhaupt keine Lust darauf, den ganzen Tag alleine in Chame herumzusitzen und „unser Team“ zu verlieren. Nach langem Hin und Her packten also letztendlich auch wir unsere Sachen, obwohl ich mich dabei nicht ganz wohl fühlte. Ich wusste, dass dieser Tag kein Spaß wird. Die heutige Etappe war fast 17 km lang und unterwegs gab es kaum Dörfer, in denen man zur Not eine Nacht hätte bleiben können. Außerdem war es schon nach 10 Uhr und schnell vorankommen würden wir heute mit Sicherheit nicht. Dennoch war ich überzeugt, dass ich das schaffe.

Als wir die Lodge verließen und der Straße weiter Richtung Nordwesten folgten, merkten wir, dass wir noch gar nicht richtig in Chame angekommen waren. Scheinbar handelte es sich nur um eine kleine Ansammlung von Lodges wenige Minuten vor dem eigentlichen Ort, die wir von nun an Fake-Chame nannten. Kein Wunder, dass uns die Dame von unserer Lodge gestern so tolle Angebote gemacht hat; hätten wir erst einmal weiter geschaut, wären wir definitiv nicht wieder zurück gekommen.

Auf unserem Weg nach Chame wurden wir von einem großen Hund begleitet, der freudig zwischen uns hin und her rannte und sich ein paar Streichler abholte. Am Ortseingang machte er dann aber kehrt und ging weg. Wir durchquerten den Ort, hielten am Ortsende noch kurz an einer kleinen Apotheke und besorgten mir Hustensaft und Halsbonbons. Dann verließen wir Chame durch eine weiße Chörte (eine tibetische Stupa).

Buddhistische Chörte

Der Weg folgte auch hier noch immer der Jeep-Piste, die neben dem Fluss durch dichten Nadelwald führte. Obwohl der Weg wenig anspruchsvoll war und auch der Aufstieg eigentlich kaum ein Problem darstellen sollte, mussten wir doch permanent anhalten und kurze Verschnaufpausen einlegen. Cian und ich waren einfach völlig überfordert und konnten mit dem Tempo der Anderen kaum mithalten. Erschwerend hinzu kam dabei natürlich auch, dass die Landschaft auf dem Weg durch den Wald relativ monoton war und daher keinerlei Ablenkung von der Erschöpfung bot. Stattdessen kam es mir eher so vor als würden wir überhaupt nicht vorankommen, wodurch ich gleich noch viel träger wurde. Ich war todmüde, mir lief ununterbrochen die Nase und ständig musste ich anhalten, um mir einen neuen Vorrat an Taschentüchern aus dem Rucksack zu holen. Minuten kamen mir wie Stunden vor und der Gedanke daran, was wir an diesem Tag noch vor uns hatten, sorgte nicht gerade für gute Laune. Ich war irgendwie sauer auf Fab, weil er mich am Morgen nicht davon abgehalten hatte, diese Etappe in Angriff zu nehmen, obwohl ich genau wusste, dass er die Entscheidung mir überlassen hatte. Und ich hatte das starke Bedürfnis, einen Einheimischen anzuschreien, der einige Kühe an uns vorbei trieb, die er immer wieder anbrüllte und mit einem Stock schlug, sodass einer Kuh schon Blut über das Gesicht lief. Am liebsten hätte ich mir einfach im nächsten Dorf eine Lodge gesucht und mich ins Bett gelegt. Aber es gab kein Dorf, in dem man hätte übernachten können.

Auf dem Weg nach Pisang

Und dann – nach etwa 2 Stunden – lichtete sich vor uns plötzlich der Wald. Wir kamen auf eine riesige Apfelplantage und fanden uns kurz darauf vor einem großen, neu gebauten Teahouse wieder. Wir gingen hinein und suchten uns ein Plätzchen für eine Mittagspause. Der Annapurna Circuit ist übrigens bekannt für seine super leckeren Apfel-Pies, -Crumbles und -Pancakes, die man fast überall auf dem Trek kaufen kann. Scheinbar ist nämlich das Klima im Himalaya bestens für den Anbau von Äpfeln geeignet. Ich selbst kann zwar leider keine Äpfel essen, aber alle anderen haben wirklich sehr von den Leckereien geschwärmt.

Teahouse in Bhratang

Ein ganzes Stück später zwangen wir uns dann schließlich zum Weiterlaufen. Wir alle waren ziemlich fertig und hatten eigentlich überhaupt keine Lust mehr. Trotzdem hatten wir noch Einiges vor uns und wir hatten schon wieder viel zu lange gesessen, sodass es bereits früher Nachmittag war. Wir folgten der Jeep-Piste weiter den Fluss entlang, während die Landschaft langsam karger und felsiger wurde. Wir kamen an eine Kurve, hinter der sich ein unglaublicher Ausblick auf eine gewaltige, steile Felswand auftat. Die Wand gehört zum heiligen Berg Swargadwari und sieht aus wie eine riesige Rampe. Der heilige Berg ist teilweise bis zu 5.000 m hoch, von denen aber 2.000 m einfach nur glatte Felsfläche sind. Für die einheimischen Buddhisten ist der Berg deshalb so heilig, weil er für sie als eine Rampe ins nächste Leben galt. Lange Zeit legten sie die Verstorbenen an den Fuß dieser Felswand, damit der Wind diese über die Rampe in den Himmel trägt.

Der heilige Berg

Die nächsten Minuten wanderten wir geradewegs auf den Berg zu, bis uns irgendwann eine Hängebrücke auf die andere Flussseite führte. Auf einem schmalen Waldweg stiegen wir dort immer weiter den Berg hinauf. Cian hatte inzwischen so starke Schmerzen in seinen Beinen, dass er kaum noch laufen konnte. Es war sogar so schlimm, dass Linda ihm seinen schweren Rucksack abnahm und ihm dafür ihren deutlich leichteren Rucksack gab. Wir hatten erst überlegt, das Gewicht zwischen uns allen aufzuteilen, aber Fab hatte mir bereits ein paar schwere Sachen abgenommen, um mich an diesem Tag zu entlasten. Auf dem Weg nach oben fiel mir dann das erste Mal auf, dass Thomas sich unterwegs immer wieder bückte, um Müll vom Boden aufzusammeln und in seine Taschen zu stecken. Die Idee fand ich unglaublich cool und absolut unterstützenswert, allerdings ist das mit dem Müll auf dem Trek ja leider so eine Sache. Wenn man den eingesammelten Müll abends in der Lodge in den Papierkorb wirft, kann man eigentlich davon ausgehen, dass alles wieder irgendwo im Wald landet. Deswegen haben wir unseren eigenen Müll auch nirgendwo auf dem Trek entsorgt, sondern bis zum Ende bei uns getragen.

Als wir dann nach dem recht anstrengenden Aufstieg oben wieder auf die Piste kamen, änderte sich die Umgebung langsam richtig deutlich. Wir hatten die 3.000 m-Grenze überschritten und das Manang-Tal betreten. Die Bäume waren schon fast vollständig verschwunden, stattdessen war die Landschaft nun kahl und steinig. Um uns herum ragten jetzt große, teilweise schneebedeckte Bergspitzen in den Himmel und hinter uns war noch immer die gewaltige Felswand des heiligen Berges zu sehen. Ein Gefühl von Ehrfurcht kam auf.

Manang-Tal

Wir überquerten eine gerade Steinebene und erreichten irgendwann eine Gabelung, an der wir uns für einen von zwei möglichen Wegen entscheiden mussten. Der eine führte auf direktem Wege nach Lower Pisang, in dem es viele neuere Lodges gibt. Der zweite Weg führte über Upper Pisang, dem älteren Teil von Pisang, der weiter oben am Berg liegt und noch recht ursprünglich ist. Wir entschieden uns für den linken Weg, der weiter über die Ebene und direkt nach Lower Pisang führte. Zwar soll sich ein Abstecher nach Upper Pisang sehr lohnen, jedoch wurde es langsam dunkel und schlafen wollten wir dann doch lieber in einer der „moderneren“ Lodges.

In Lower Pisang merkten wir sofort, dass sich nicht nur die Landschaft geändert hatte. Auch die Häuser waren hier ganz anders. Zum Einen gab es keine Holzhäuser mehr, weil es hier oben viel zu kalt dafür war. Die Häuser waren nun allesamt aus Stein gebaut und dadurch auch etwas besser isoliert. Zum Anderen waren die Häuser hier aber auch viel einfacher und kleiner als in den Orten zuvor. Offenbar begann ab hier das richtige, echte Bergleben.

An einigen Lodges gingen wir direkt vorbei, weil wir schon durch die Fenster sehen konnten, dass die Esszimmer recht voll waren. Zum Ende der Hauptstraße hin wurde es aber deutlich ruhiger. Wir teilten uns auf; Linda und ich schauten uns eine Lodge an, während Thomas in ein anderes Guesthouse ging. Am Ende gewann das Guesthouse von Thomas, weil er uns dort kostenlose Zimmer mit eigenem Bad aushandeln konnte. Offenbar waren wir nämlich mal wieder die einzigen Gäste und haben deswegen die guten Zimmer bekommen. Ein eigenes Bad weiß man auf diesen Höhen übrigens ganz besonders zu schätzen. Zum Duschen war es zwar viel zu kalt, weil es kein warmes Wasser gab und wir langsam in die Minusgrade kamen – aber tagsüber trinkt man so viel, dass man nachts ziemlich oft wohin muss und dann ist man echt heilfroh, wenn man nicht erst aus dem warmen Schlafsack raus, drei Schichten Klamotten anziehen und durch den halben Hof rennen muss. Und inzwischen hatten wir uns auch mit den Hockklos angefreundet, vor denen wir uns anfangs noch etwas gefürchtet hatten. Denn mal ehrlich: auf ein normales Sitzklo würde man sich dort aus hygienischen Gründen ohnehin nicht setzen wollen…

Wir legten also kurz unsere Sachen im Zimmer ab und versammelten uns dann im Dining Room zum Abendessen. Noch während wir die Speisekarte durchstöberten, fiel unser Blick in die offene Küche, in der irgendein in Scheiben gehacktes totes Tier von der Decke hing. Die Dame des Hauses erklärte uns, dass es sich dabei um Yak handelte. Yaks gibt es auf dem Annapurna Trek in unzähligen Mengen und dementsprechend auch auf den Speisekarten. Wir hatten allerdings gelesen, dass man auf Yak-Fleisch lieber verzichten sollte, weil die Tiere nur einmal im Jahr geschlachtet und anschließend monatelang gelagert werden, sodass das Fleisch nicht immer im besten Zustand ist. Geschlachtet wird jedoch im November, also genau während unserer Wanderung. Und auch das Tier, das dort in der Küche hing, wurde gerade mal zwei Tage vorher geschlachtet. Und das mussten die Jungs gleich probieren. Da die Karte aber nichts wirklich Interessantes mit Yak-Fleisch zu bieten hatte, fragten sie die Dame, ob es eventuell möglich wäre, eine Pizza mit Yak-Fleisch zu belegen. Die Dame fand das super amüsant, aber ein Stückchen später servierte sie die neu kreierten Yak-Pizzen. Auch mir stellte sie statt meiner Zwiebelpizza eine Yak-Pizza vor die Nase, aber ich bestand auf meiner Zwiebelpizza. Daraufhin gab sie die Yak-Pizza dem Opi – vermutlich ihr Vater –, der neben unserem Tisch am Holzofen saß. Seinem Gesichtsausdruck zufolge war das für ihn wie Weihnachten. Generell hatten wir sehr stark den Eindruck, dass es für die Einheimischen kaum etwas Besseres gab als wenn die Trekker etwas von ihrem Essen übrig ließen oder zu viel gekocht wurde. Denn für sie gibt es ja normalerweise jeden Tag Dal Bhat. Als dann irgendwann auch meine Zwiebelpizza gekommen war und wir uns die Bäuche vollgehauen hatten, beendeten wir den Abend noch gemütlich mit einem Kartenspiel und leckerem Pfefferminztee.

Etappe 4: Timang – Chame (2.670 m), 3.30 h

Als wir am nächsten Morgen aus unserem Zimmer hinaus in die frische Luft traten, fiel unser Blick sofort nach Osten auf den Manaslu. Der Himmel war nun wieder vollkommen wolkenfrei und so konnten wir zum allerersten Mal in unserem Leben einen der vierzehn Achttausender bewundern. Der Ausblick auf das vereiste Bergmassiv war so unglaublich schön, dass man kaum wegschauen konnte. Kein Wunder, dass viele Lodges in Timang  Dachterrassen haben. Diese Aussicht muss man ja einfach in vollen Zügen genießen.

Aussicht auf den Manaslu, 8.163 m

Leider war es uns aber draußen viel zu kalt, sodass wir uns letztendlich doch einen Tisch in der Dining Hall suchten. Wir gönnten uns ein spätes, umfangreiches Frühstück mit Pancakes, Zitronentee und jeder Menge Pfefferminzöl. Linda war inzwischen auch wieder mit am Start und sah zum Glück deutlich besser aus als gestern – auch wenn sie noch immer mit ihrem Magen zu kämpfen hatte und verzweifelt versuchte, sich mit Nudelsuppe aufzupäppeln. Auch mir ging es deutlich besser als nach dem gestrigen Tag erwartet, obwohl ich noch immer Halsschmerzen, Stimmenprobleme und leicht erhöhte Temperatur hatte. Wir hatten in dieser Nacht über 12 Stunden geschlafen und das bei frischester, reinster Bergluft (davon hat man in den Holzhütten ja auch mehr als genug) und unseren Körpern tat das offenbar sehr gut. Zumindest waren wir alle fest entschlossen, es heute bis nach Chame zu schaffen, um dort dann endlich einen Ruhetag einzulegen.

Noch während wir gemütlich frühstückten, erreichten die ersten Wandergruppen das kleine Dörfchen. Es war schon fast Mittag und nach dem Aufstieg braucht wohl scheinbar ohnehin jeder eine Pause, sodass es in unserer Lodge langsam richtig voll und ungemütlich wurde. Zeit zu gehen. Wir packten unsere Sachen, warfen noch einmal einen Blick auf den Manaslu und machten uns zu fünft auf den Weg nach Chame.

Der Weg war zum Glück keine große Herausforderung. Er führte die meiste Zeit auf der Jeep-Piste einigermaßen eben durch Kiefernwald. Immer mal wieder machten die Bäume dabei die Sicht auf den Manaslu frei, der scheinbar die komplette Ostseite dominierte. Und dann ragte plötzlich vor uns die gewaltige Spitze der Annapurna II über den Baumwipfeln auf. Was für ein Anblick! Die Annapurna II ist deutlich spitzer als der Manaslu und liegt auch viel näher an der Wanderroute, wodurch sie einfach unglaublich gigantisch wirkt. Immerhin lagen zwischen uns und der Spitze der Annapurna II ganze 5.300 m Höhenunterschied, aber nur 10 km Luftlinie! Da kann man gar nicht anders als schlagartig stehen zu bleiben und zu staunen.

Manaslu, 8.163 m

Der Anblick begleitete uns bis nach Koto, wo wir an einem Checkpoint unsere Trekking-Permits vorzeigen mussten. Neben dem Checkpoint fanden wir einen kleinen Stand, an dem ein Einheimischer frische Samosas verkaufte. Wir nutzten die Gelegenheit für eine kurze Pause, setzten uns auf eine Steinmauer am Wegrand und genossen bei ein paar Samosas die Aussicht auf die Annapurna II. Hinter uns stand eine Lodge mit einem kleinen Garten, in dem wir zwei vertraute Gesichter entdeckten: die Neuseeländerin und der Kanadier, die wir am ersten Abend auf dem Trek kennengelernt hatten. Wir wechselten ein paar Worte. Wie sich herausstellte, mussten die Beiden auch einen Gang herunterschalten, weil den Kanadier ebenfalls die Grippe erwischt hatte. Sie erzählten uns, dass in Kathmandu vor einigen Tagen eine extreme Grippewelle ausgebrochen sei, die scheinbar auch sehr viele Touristen erwischt habe. Und tatsächlich, viele der Trekker auf dem Circuit schienen krank zu sein; überall hörte man es husten und schniefen.

Annapurna II, 7.937 m
Koto

Von Koto aus waren es dann schon nur noch ca. 30 Minuten, bis wir die ersten Häuser von Chame sehen konnten. Direkt am Ortseingang kam eine ältere Dame zu uns an die Straße und bot uns ihre Lodge an. Da wir nicht gleich die erstbeste Unterkunft nehmen wollten, zögerten wir etwas. Die Dame begann daraufhin, uns mit netten Angeboten zu locken: kostenlose Zimmer, viele Decken, heiße Dusche, Ofen im Dining Room, Willkommenstee und 10 % Rabatt auf alle Speisen. Ob sie das mit dem Rabatt überhaut durfte, war uns nicht so richtig klar, denn die Preise für die Speisen sind auf dem gesamten Annapurna Trek staatlich reguliert. Aber das Angebot war zu verlockend, um sich nicht wenigstens mal die Zimmer zeigen zu lassen. Die ganze Lodge war ordentlich und sauber und die Matratzen machten einen sehr bequemen Eindruck. Also blieben wir. Die Dusche war sogar richtig heiß und ein absoluter Traum. Und auch der Dining Room war total gemütlich. Am Eingang befand sich ein Ofen, um den herum Bänke und Stühle standen. Und kaum hatten wir uns alle um den Ofen herum gesetzt, brachte man uns auch sofort unseren Willkommenstee und zündete uns ein warmes Feuerchen an. Und mal wieder saßen wir zu fünft lange da und quatschten über Gott und die Welt. Leider machte aber der Rauch meinem ohnehin schon schmerzenden Hals sehr zu schaffen, sodass ich irgendwann nur noch ununterbrochen husten musste. Das war dann der Punkt, an dem wir alle ins Bett gingen und einen weiteren Tag auf dem Annapurna Circuit beendeten.

Chame

Etappe 3: Dharapani – Timang (2.620 m), 5.30 h

Beim Frühstück in unserer kleinen Gruppe stellte sich heraus, dass es auch Linda und Cian gar nicht so gut ging. Wir entschieden uns daher alle für einen ruhigen Tag mit einem langen, gemütlichen Morgen. Wir tranken literweise Tee und jeder verliebte sich in mein wundersames Pfefferminzöl, das als Zugabe zum Tee in Sekundenschnelle die Nase frei macht und den ganzen Körper wärmt. Jeder außer Fab. Der kann das Zeug überhaupt nicht riechen und bekommt direkt Kopfschmerzen. Blöd, dass mittlerweile das ganze Esszimmer danach roch.

Nach einer Weile fühlte ich mich schon etwas fitter und meine Stimme kehrte auch langsam zurück. Grund genug, um nicht nach Tal zurückzugehen. Der nächste Ort auf unserer Route lag nur etwa eine Stunde von uns entfernt und sollte ohne große Anstrengung zu erreichen sein. Zusammen mit Cian machten wir uns daher gegen 10 Uhr auf den Weg nach Bagarchhap. Linda und Thomas ließen wir zurück, da sich Linda leider ziemlich schlecht fühlte. Cian, der inzwischen starke Schmerzen in seiner Leiste hatte, versuchten wir mit Magnesium aufzupäppeln. Außerdem erklärten wir ihm, wie man einen Rucksack richtig einstellt und trägt, denn das wusste er offensichtlich nicht. Der Hüftgurt, der bei einem Trekkingrucksack eigentlich den wichtigsten Teil bildet, baumelte bei ihm einfach lose herum. Dabei hat dieser Hüftgurt die essentielle Aufgabe, das ganze Gewicht des Rucksacks von den Schultern auf die Hüften zu verlagern. Wenn dieser Gurt nicht richtig sitzt, hat das ziemliche Schmerzen zur Folge. Und so war es auch bei Cian. Den Unterschied merkte er sofort.

Wir erreichten Bagarchhap deutlich schneller als erwartet, nämlich schon nach knapp 30 Minuten. Aber uns war schnell klar, dass wir in diesem Ort auf keinen Fall übernachten wollten. Einerseits weil er überhaupt nicht einladend war, andererseits aber auch weil wir uns fit genug fühlten, um noch etwas weiter zu laufen. Trotzdem suchten wir uns eine Lodge für eine ausgiebige Mittagspause, damit wir die Dinge nicht zu sehr überstürzen. Es dauerte gar nicht lange, da gesellten sich auch Linda und Thomas zu uns. Die beiden hatten sich letztlich ebenfalls zum Weiterlaufen entschieden, aber um Linda zu entlasten, trug Thomas zusätzlich zu seinem eigenen Rucksack noch den von Linda vorne auf der Brust.

Unsere Pause war richtig entspannt und das Essen sehr lecker. Und obwohl wir direkt neben dem Wanderweg saßen, war weit und breit kein anderer Trekker zu sehen. Dafür aber konnten wir von unserem Tisch aus das erste Mal einen Blick auf eine der Annapurnas erhaschen. Zu sehen war die Spitze der Annapurna II, die mit ihren 7.937 m Höhe gerade so die 8.000er-Grenze verfehlt hat. Aber das macht den Anblick ja nicht weniger schön.

Nach gut zwei Stunden Mittagspause ging unsere Tour dann weiter. Ich fühlte mich inzwischen wieder einigermaßen fit und war deswegen motiviert, heute noch bis nach Timang zu kommen, das laut Karte nur etwas mehr als zwei Stunden entfernt sein sollte. Ursprünglich war unser Ziel für den heutigen Tag die Stadt Chame gewesen, die mit über 1.000 Einwohnern zu den größten Städten auf dem ganzen Trek gehört. Timang liegt etwa auf halber Strecke und wurde vom Wanderführer als schöner Ort mit hervorragender Aussicht beschrieben. Von hier aus würden wir es am nächsten Tag gut nach Chame schaffen, wo wir so schnell wie möglich hin wollten, weil es dort eine Apotheke und wohl sogar einen Arzt geben sollte. Leider stellte sich der Weg nach Timang als extrem anstrengend heraus…

Zunächst fing alles ganz easy an. Wir hatten uns nach dem Essen wieder von Linda und Thomas verabschiedet, die es zwar auch bis nach Timang schaffen wollten, aber wegen Lindas schlechtem Zustand lieber ihr eigenes Tempo gehen wollten. Wir liefen also zusammen mit Cian auf der Jeep-Piste bis zum nächsten kleinen Ort. Dort passierten wir die ersten tibetischen Gebetsmühlen und konnten den zunehmenden tibetisch-buddhistischen Einfluss in den Bergdörfern deutlich spüren (Nepal ist eigentlich vom Hinduismus geprägt). Eine Gebetsmühle ist ein Blechzylinder, in dessen Innerem Papier mit dem buddhistischen Gebetsmantra „Om mani padme hum“ aufgerollt ist. Oftmals befindet sich diese Aufschrift auch außen auf dem Zylinder. Gebetsmühlen können klein, aber auch bis zu 2-3 Meter groß sein; die Großen stehen meist einzeln in einem Raum, die Kleinen findet man meistens zahlreich in einer Reihe entlang oder in der Mitte einer Straße. Man passiert die Gebetsmühlen immer auf der linken Seite und dreht sie im Vorbeigehen im Uhrzeigersinn (mit der Sonne), um die Gebete in Bewegung zu bringen und sie auf diese Weise freizusetzen.

An den Gebetsmühlen trafen wir auf einige Kinder, die gleich freudig zu uns gerannt kamen, um nach „Money!“ und „Sweets!“ zu fordern. Auf unser Ablehnen hin warfen sie uns sofort irgendwelche Worte auf Nepali an den Kopf, die vermutlich nicht sonderlich nett waren. Wir scherten uns nicht groß darum und liefen weiter. Kurz nach dem Ortsausgang folgten wir der Straße weiter um eine Kurve und kamen zu einem Wasserfall. Die Jeep-Piste führte direkt durch das Wasser, sodass wir am Wegrand auf Steinen balancierend den Wasserfall durchqueren mussten. Auf der anderen Seite setzten wir uns kurz auf einen großen Fels und genossen die idyllische Ruhe. In diesem Moment kam hinter uns ein Einheimischer mit einer Herde Ziegen einen kleinen Waldpfad heruntergeklettert. Er erzählte uns, dass dieser Pfad eine Abkürzung sei und auf direktem Wege den Berg hinauf führe, wohingegen die Straßen in Serpentinen verlaufe und dadurch deutlich länger sei. Da wir auch in unserem Wanderführer von einer Abkürzung gelesen hatten, folgten wir dem Pfad. Nur leider war der direkte Weg nach oben deutlich steiler als erwartet. In nur einer Stunde hatten wir einen Aufstieg von ca. 400 Höhenmetern zu bewältigen. Der Weg führte über Steinstufen immer weiter hinauf. Allerdings sollte man sich unter Steinstufen keine Treppe vorstellen, wie wir sie aus Deutschland gewohnt sind. Vielmehr handelt es sich dabei um naturbelassene Steinplatten, die alle unterschiedlich hoch sind und deswegen höchste Aufmerksamkeit erfordern. Für manche Stufen braucht es nur einen kleinen Schritt, andere Stufen wiederum sind fast kniehoch.

Die enorme Anstrengung laugte uns völlig aus. Vor allem Fab bekam es mit Kopfschmerzen und Schwindel zu tun. Cian hatte noch immer mit den Schmerzen in seinen Beinen zu kämpfen. Und auch ich spürte deutlich, dass mein Körper nicht ganz auf der Höhe war. Alle paar Meter hielten wir an, machten kurz Pause und tranken einen Schluck Wasser. Dann ging es wieder weiter. Allerdings gab es dabei noch ein Problem: Wir hatten inzwischen die 2.500 m Höhe erreicht, ab der man langsam anfangen muss, auf Symptome der Höhenkrankheit zu achten. Und Kopfschmerzen, Schwindel und Schlappheit stehen ganz oben auf der Liste. Sobald diese Symptome auftreten, sollte man eigentlich nicht weiter aufsteigen, sondern mindestens eine Nacht dort bleiben, wo man gerade ist. Denn Ursache für die Höhenkrankheit ist nichts weiter als Sauerstoffmangel. Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft. An den fehlenden Sauerstoff muss sich der Körper gewöhnen und dafür braucht er Zeit. Klingen die Symptome aber nach der ersten Nacht nicht ab, sollte man sofort absteigen. Die Höhenkrankheit darf man nämlich keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen, denn eine Unterversorgung mit Sauerstoff kann schließlich schnell im Tod enden.

Wir standen nun also vor der Frage, ob Fabs Kopfschmerzen und Schwindel erste Symptome der Höhenkrankheit waren oder ob auch ihn die Grippe erwischt hat. Zurückgehen oder Weiterlaufen? Wir entschieden uns für‘s Weiterlaufen. Die Höhenkrankheit ist unter einer Höhe von 3.000 m zwar durchaus möglich, aber doch eher selten. Die Wahrscheinlichkeit einer Erkältung oder Grippe war da deutlich höher. Und tatsächlich, die Symptome verschwanden mit der Zeit langsam. Scheinbar hatte Fab einfach nur etwas zu stark ein- und ausgeatmet, wozu man übrigens bei der immer dünner werdenden Luft schnell mal neigt.

Fotocredits: Cian

Als wir uns dann oben endlich auf der Jeep-Piste wiederfanden, war die Erleichterung ziemlich groß. Das Schlimmste war geschafft und Timang sollte nun schon sehr nah sein. Und kaum waren wir wieder auf der Straße, hörten wir plötzlich Rufe hinter uns. Linda und Thomas hatten uns eingeholt. Im Gegensatz zu uns haben sie die Abkürzung nicht genommen, sondern sind die ganze Zeit der Straße gefolgt. Thomas hatte noch immer Lindas Rucksack auf der Brust und Linda sah einfach nur elend aus. Zu fünft liefen wir weiter die Straße entlang durch dichten Wald. Bis auf Thomas, der mit seinen zwei Rucksäcken noch immer quietschfidel durch die Gegend marschierte, waren wir alle völlig am Ende und konnten kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen. Eigentlich sollte dieser Tag ja eher ruhig werden, aber das war offensichtlich missglückt.

Eine gefühlte Ewigkeit später erreichten wir dann endlich Timang. Wir suchten uns eine hübsche Lodge mit dem Namen Oasis Guest House heraus, mit einer Dachterrasse, von der aus man bei klarer Sicht einen guten Ausblick auf den Manaslu hat, der mit seinen 8.163 Metern der achthöchste Berg der Welt ist. Wirklich klare Sicht hat man hier allerdings nur vormittags, da ab dem Mittag langsam Wolken in die Bergspitzen ziehen. Von Riesen wie dem Manaslu sieht man dann leider nicht mehr viel. Das interessierte uns in diesem Moment aber auch eher wenig, denn wir waren hundemüde und wussten ja, dass wir am nächsten Morgen den perfekten Ausblick in vollen Zügen genießen konnten. Wir ließen uns von der Inhaberin der Lodge ein paar dicke Fleecedecken geben und gönnten uns erstmal ein kleines Nickerchen. Inzwischen waren wir so hoch gekommen, dass es nachts schon ganz schön kalt wurde. Zwar gab es auf den Zimmern noch immer keine Decken, aber zumindest haben wir auf Nachfrage welche bekommen.

Am frühen Abend trafen wir uns dann mit Cian und Thomas zum Essen im Dining Room. Linda hatte es inzwischen völlig niedergestreckt, weswegen sie direkt im Bett geblieben ist. Und auch Thomas verschwand kurze Zeit später mit Suppe wieder im Zimmer. Wir blieben noch etwas sitzen, quälten uns eine riesen Portion gebratene Makkaroni rein und quatschten noch etwas mit einem älteren Italiener, der außer uns der einzige Gast in der Lodge war. Überhaupt schien der ganze Ort wie ausgestorben. Die wenigsten Leute übernachten in Timang, weil man in der Regel schon mittags hier vorbeikommt und man von hier aus auch schnell und easy nach Chame kommt. Aber uns gefiel es hier richtig gut, das Zimmer war gratis und alles war angenehm sauber. Wir hätten uns hier gut und gerne einige Tage auskurieren können, aber darüber wollten wir uns heute noch keine Gedanken machen.

Etappe 2: Jagat – Dharapani (1.900 m), 8 h

Der zweite Tag war genauso anstrengend wie der Erste. Trotzdem verlief er deutlich entspannter. Nach dem gestrigen Tag waren wir uns nämlich einig, dass wir ab sofort lieber Etappen kürzen würden, als uns ohne Pausen durch die super schönen Landschaften zu hetzen. Wir hatten genügend Zeit in Nepal eingeplant und überhaupt keinen Grund uns so sehr zu beeilen. Das sollte natürlich nicht heißen, dass wir nicht dennoch jeden Morgen zeitig aufstehen und so viel Strecke wie möglich schaffen wollten. Aber wir wollten die Wanderung auch genießen und unseren Körpern zwischendurch etwas Ruhe gönnen. Außerdem fiel uns das zeitige Aufstehen überhaupt nicht schwer. Durch die große Anstrengung tagsüber ist man nach dem Abendessen ohnehin hundemüde, sodass wir an den meisten Tagen schon zwischen 18 und 20 Uhr ins Bett gegangen sind. Dementsprechend zeitig waren wir dann natürlich auch immer schon wach. Und die Vorfreude auf das Kommende trägt dann noch sein Übriges bei.

Nachdem also wieder um 6 Uhr unser Wecker geklingelt hatte, unsere Sachen gepackt waren und wir den schlechtesten Bananen-Porridge überhaupt gegessen hatten, ging es gegen 8 Uhr weiter mit dem Wandern. Die Etappe begann zunächst auf der Jeep-Piste, aber schon bald folgten wir einer Abzweigung nach links in den Wald, wo es erst einmal ordentlich bergauf ging. Die Temperaturen waren immer noch recht hoch und der Weg durch den Wald war gesäumt von riesigen Bananenbäumen. Wir hätten genauso gut auch im Dschungel sein können. Als wir dann schweißnass oben ankamen, fanden wir uns vor einem kleinen, steinigen Fußballplatz wieder. Davor am Drahtzaun standen drei Männer, die vergeblich nach einem Wanderweg suchten. Aber es gab keinen. Wir stiegen deshalb kurzerhand durch ein Loch im Drahtzaun und überquerten den Sportplatz. Den vielen Fußspuren nach zu schließen waren hier bereits einige Wanderer entlanggekommen – so falsch konnten wir also gar nicht sein. Am Ende des Sportplatzes zeigte uns dann eine rot-weiße Markierung, dass wir tatsächlich auf dem richtigen Weg waren. Die nächsten Meter verbrachten wir damit, uns mit einem der drei Herren zu unterhalten, die wir am Sportplatz getroffen hatten. Ein Däne, der mit seinem 14-jährigen Sohn mal einen richtigen Männerurlaub machen wollte. Sein Sohn sah zwar nicht ganz so glücklich aus, aber auch er schien den Ausflug eigentlich ganz cool zu finden. Unsere Wege trennten sich kurze Zeit später in einem kleinen Dorf, als wir eine kleine Pause einlegten, um frisches Wasser zu filtern und einen kleinen Snack zu uns zu nehmen. Nach dem Dorf führte uns dann eine Hängebrücke wieder auf die andere Flussseite, wo wir entlang des Flusses immer weiter in das Tal hinein wanderten. Dabei schlängelte sich unser Weg immer weiter die Berge hinauf. An manchen Stellen trennte uns vom Fluss, der inzwischen tief unter uns lag, nur noch eine steile Felswand. Aber die Aussicht war einfach nur gigantisch.

Eine ganze Weile später fanden wir uns vor einem steilen Hang wieder, an dem im Zick-Zack unser Weg nach oben führte. Am oberen Ende konnten wir bereits eine kleine Aussichtsplattform erkennen, auf der einige Leute zu sehen waren. Der Aufstieg war hart, aber immerhin sehr kurz. Und zu unserer Freude gab es auf dem Plateau eine kleine Hütte, in der man Snacks und Getränke kaufen konnte – eine Sprite kam uns jetzt genau gelegen! Leider verriet uns ein Blick in unseren Wanderführer, dass wir uns direkt vor einem Steilanstieg befanden. Fast 100 Höhenmeter hatten wir in den nächsten 20 Minuten zu meistern. Aber die Anstrengung wurde belohnt. Und zwar mit dem wunderschönen Örtchen Tal.

Tal befindet sich direkt am Flussufer auf einer großen, weißen Sandbank und ist umgeben von hohen Bergen. Es ist nur zu verlockend, die Schuhe auszuziehen und die Füße in den eisblauen Fluss zu halten. Aber uns war klar, dass das Wasser dafür viel zu kalt sein würde. Stattdessen entschieden wir uns für eine Mittagspause in einer der vielen hübschen Lodges. Wir fanden schnell ein gemütliches Plätzchen und teilten uns einen Tisch mit ein paar Mädels aus aller Welt. Es dauerte nicht lange, da tauchte auch der Australier auf, den wir in Bhulbhule kennengelernt hatten. Sein Name ist Cian, gesprochen wie der Pfeffer. Er lebt in Brisbane und wollte nach der Abgabe seiner Masterarbeit ein paar Wochen Auszeit genießen. Der Annapurna Circuit war eine ganz spontane Idee von ihm gewesen und dementsprechend schlecht war er auch vorbereitet. Schon sein Rucksack sah furchtbar unangenehm aus; viel zu groß, viel zu schief und viel zu viel Zeug, das außendran herum baumelte. Er selbst empfand seinen Rucksack schon am zweiten Tag als eine große Qual, aber unterwegs kann man da halt leider nicht mehr viel dran ändern.

Und so saßen wir da, unterhielten uns mit den Leuten und warteten eine gefühlte Ewigkeit auf unser Dal Bhat und die Momos. Die Sonne wanderte langsam hinter einen Berg und hin und wieder zog ein frisches Windchen durch das Tal, sodass es teilweise schon recht kühl wurde. Wir hatten das subtropische Klima hinter uns gelassen. Als dann nach über einer Stunde endlich unser Essen kam, war es schon wieder viel zu spät. Die Mädels waren schon aufgebrochen und nur noch Cian saß mit uns am Tisch. Wir mampften schnell alles in uns rein, verabschiedeten uns von Cian und machten uns auf den Weg. Es war bereits 14 Uhr und wir hatten noch gute zwei Stunden vor uns. Am liebsten wären wir einfach für eine Nacht hier geblieben, aber letztendlich war es uns doch noch etwas zu früh, um die Etappe hier abzubrechen. Tal ist wirklich ein schöner Ort und lädt geradezu zum Übernachten ein. Es gibt hübsche Lodges direkt am Wasser, einen Wasserfall, zu dem man einen Ausflug machen kann und sogar ein Medical Center mit einem Arzt und einer Apotheke.

Tal

Der weitere Weg war wenig spektakulär, was vermutlich vor allem an unserer Müdigkeit und der untergehenden Sonne lag, welche die Landschaft in tristen Schatten versetzte. Wir überquerten einen kleinen Wasserfall, stiegen weiter auf und ab und kamen schließlich zu einer Hängebrücke, die uns wieder auf die andere Seite des Flusses brachte. Von dort aus ging es weiter auf der Jeep-Piste Richtung Norden. Irgendwann kamen wir wieder an eine Hängebrücke, die uns erneut auf die Ostseite des Flusses gebracht hätte, aber inzwischen waren wir so kaputt, dass wir einfach nur noch ankommen wollten. Wir ignorierten daher die Schilder und folgten einfach der Jeep-Piste bis nach Dharapani, unserem heutigen Etappenziel.

Dharapani ist kein sonderlich schöner Ort, aber es gibt zahlreiche Lodges und nur wenige Trekker. Wir machten uns auf die Suche nach einer ansprechenden Unterkunft, aber irgendwie sprang uns nichts Schönes ins Auge. Als wir den Ort einmal komplett durchquert hatten, machten wir daher wieder kehrt und gingen zurück zu einer Lodge am Ortseingang, die von unserem Wanderführer empfohlen wurde. Richtig zufrieden waren wir allerdings nicht. Dann aber sahen wir direkt neben der Lodge eine weitere Unterkunft, auf deren Treppe ein junges Pärchen saß. Das Mädel hatte ihre nassen Haare in ein Handtuch gewickelt, was mich dazu veranlasste, die beiden zu fragen, ob es dort eine warme Dusche gibt. Sie meinte, die Dusche wäre sogar richtig schön heiß und sauber und auch die Zimmer sehr schön. Und damit hatten wir unsere Entscheidung getroffen. Noch während wir uns mit dem Pärchen (Linda und Thomas aus Dänemark) unterhielten, trottete Cian an der Lodge vorbei. Natürlich haben wir ihn direkt zu uns gewunken und zu fünft gehörte uns die komplette Unterkunft.

Nachdem dann auch der Rest von uns noch der Reihe nach duschen war (die Dusche war nur bei mir noch heiß, bei Fab war sie schon nur noch lauwarm und bei Cian eiskalt), suchten wir uns einen großen Tisch im Dining Room und warteten auf unser Essen. Während wir dort saßen und uns unterhielten, wurde es immer kälter und schon nach kurzer Zeit hatte ich meinen wärmsten Pullover und meine dicke Winterjacke an. Ich stopfte meine nassen Haare unter die warme Mütze, wärmte meine Hände am Tee und trotzdem fror ich noch am ganzen Körper. Ich merkte, wie mein Körper langsam schlapp machte und sich in mir eine dicke Grippe ausbreitete. Selbst mein Wunderheilmittel – reines Pfefferminzöl – konnte mir an diesem Punkt nicht mehr helfen. Als wir dann nach einer langen Unterhaltung mit den Anderen gegen 22 Uhr ins Bett gingen, fühlte ich mich schon richtig krank. In der Nacht wachte ich immer wieder auf. Ich wechselte ständig meine Kleidung, weil mir in meinem Schlafsack erst viel zu kalt und dann viel zu warm war. Auf diesen Höhen gibt es in den Unterkünften leider keine Decken, weil man sie hier normalerweise auch nicht braucht und man ja ohnehin einen Schlafsack dabei hat. Am Morgen wachte ich mit höllischen Halsschmerzen und ohne Stimme auf. Verzweifelt überlegten wir, was wir tun sollten. In diesem hässlichen Ort bleiben wollten wir auf keinen Fall, aber auch Weiterlaufen wäre keine gute Idee. Wir überlegten daher, ob wir einen Jeep rufen sollten, der uns zurück nach Tal bringt, wo es uns ja erstens sehr gut gefallen hat, es zweitens ein Medical Center gab und es drittens auch wärmer war.

Etappe 1: Bhulbhule – Jagat (1.300 m), 8 h

Für die ersten Wandertage haben wir uns viel vorgenommen. Über 20 km lang sollte die erste Etappe werden und das trotz Temperaturen um die 30°C und kürzer werdenden Tagen. Die Tage im November sind in Nepal so schon nicht lang, aber erschwerend dazu kommen ja noch die hohen Berge, hinter denen die Sonne noch viel schneller verschwindet als irgendwo sonst. Dadurch wurde es auf dem Circuit schon ab 16 Uhr schnell dunkel. Und dementsprechend war natürlich bei solch langen Etappen früh aufstehen angesagt – zumal man beim Trekking ja auch jeden Morgen sein ganzes Hab und Gut zusammenpacken muss. Außerdem sollte man auch immer bedenken, dass es in einer gut besuchten Unterkunft durchaus recht lange dauern kann, bis man sein Frühstück serviert bekommt. Immerhin wird in Nepal alles ganz frisch zubereitet. Es ist deswegen auch sehr verbreitet, dass man sein Frühstück einfach schon am Abend zuvor für eine bestimmte Uhrzeit vorbestellt. Die Nepalesen haben es zwar generell nicht so mit der deutschen Pünktlichkeit, aber dennoch klappt das mit dem Vorbestellen meistens erstaunlich gut.

Irgendwie denke ich gerne an den Moment zurück, als der Belgier in Bhulbhule am Abend beim Herren des Hauses Frühstück bestellen wollte und ihn fragte, ob es denn auch richtig zeitig ginge, weil die Jungs sehr früh loswandern wollten. Der Herr fragte dann, was denn „richtig zeitig“ heißen soll und der Belgier meinte „Na so gegen 6.30 Uhr“. Der Nepalese fing an zu lachen und sagte, wir könnten gerne auch schon um 4 Uhr frühstücken. Da war der Belgier völlig entsetzt und rief nur „Duuude, it’s our holidays!“.

Nachdem also am Morgen um 6 Uhr unser Wecker geklingelt hatte und die Schlafsäcke und sonstiger Kram wieder sicher im Rucksack verstaut waren, machten wir uns auf zum Frühstück. Dort trafen wir wieder die Jungs vom Abend, was natürlich dazu führte, dass wir uns verquatschten und dann viel zu spät aufbrachen. Und so ging es dann halt erst 8 Uhr los.

In Bhulbhule überquerten wir einen Fluss, der uns noch tagelang begleiten sollte. Die ursprüngliche Wanderstrecke befindet sich links vom Fluss und ist inzwischen eigentlich nur noch eine staubige Jeep-Piste. Wegen des Straßenbaus wurde nun aber rechts vom Fluss eine Alternativroute markiert, für die auch wir uns entschieden haben. Sie ist etwas länger und wohl auch anstrengender, aber dafür wunderschön. Schon kurz nach Bhulbhule konnten wir einen ersten Blick auf schneebedeckte Bergriesen in der Ferne werfen. Aber das sollte vorerst auch der letzte Blick darauf bleiben, denn die Berge verschwanden schnell wieder und waren dann erstmal nicht mehr zu sehen. Stattdessen wanderten wir durch saftig grüne Wiesen und Wälder, kleine Dörfer und Unmengen von Reisterrassen. Überall sah man Nepalesen auf Feldern arbeiten und Kinder auf den Straßen spielen. Immer wieder wurden wir mit einem freundlichen „Namaste“ begrüßt und mit neugierigen Blicken beobachtet. Aber leider kommt es in diesen abgeschiedenen, armen Dörfern auch immer wieder vor, dass man von Kindern belagert wird, die nach Geld oder Süßigkeiten betteln. So leid einem die Kleinen aber manchmal tun, man sollte ihnen nichts von beidem geben. Geld sowieso nicht, das ist überall in Asien so. Gibt man den Kindern Geld, werden sie von ihren Eltern weiter zum Betteln auf die Straße geschickt statt in die Schule. Am Ende hilft man ihnen damit sicher nicht. Aber auch Süßigkeiten sollte man den Kindern dort nicht geben. Da es keine Zahnärzte gibt und die meisten Dorfbewohner sich auch sonst nicht groß um Zahnpflege scheren, schadet man den Kindern mit dem Zucker nur. Im ersten Moment klingt es zwar gar nicht so schwer, den Kindern nichts Süßes zu geben. Aber tatsächlich ist es manchmal gar nicht so leicht. In vielen Momenten denkt man überhaupt nicht daran, dass man sich gleich in eine unangenehme Lage bringen wird. Für uns ist es ja völlig normal, dass man unterwegs mal einen kleinen Snack isst und einfach mal einen Müsliriegel auspackt. Für die Kinder dort aber nicht. Die bleiben alle schlagartig stehen und starren dich an. Man kann die knurrenden Mägen förmlich hören. Und auch wir haben recht schnell dazu gelernt. Wir hatten nämlich aus einer Bäckerei in Kathmandu ein paar Kekse dabei, die schon halb zerkrümelt waren und die wir deswegen in das äußere Netzfach meines Rucksacks gepackt hatten. Es dauerte natürlich nicht lange, da wurden wir von Kindern verfolgt, die ständig nach meinem Rucksack griffen. „Na gut, nur dieses eine Mal“, dachten wir uns. Wir gaben jedem Kind einen Keks und gingen weiter. Kurz danach kam noch ein einzelnes kleines Kind angerannt, das die Keksrunde verpasst hatte und tottraurig war. Wir gaben ihm noch einen und verstauten den Rest gut verdeckt im Rucksack. Dieser Fehler sollte uns nicht nochmal passieren. Wer den Kindern dort etwas Gutes tun möchte, der sollte lieber Spielzeug dabei haben. Ich hab mal was von Luftballons gelesen, aber das halte ich in einem so vermüllten Land wie Nepal für keine gute Idee. Dann vielleicht doch lieber Nüsse.

Bhulbhule

Obwohl wir beim Wandern kaum Fotopausen machten, kamen wir doch nur sehr langsam voran. Wir merkten recht schnell, dass wir die vorgegebene Zeit unseres Wanderführers nicht schaffen würden und wurden etwas unruhig. Schließlich war unsere Etappe so schon recht lang und wir wollten auf keinen Fall im Dunkeln wandern oder die guten Schlafplätze verpassen. Und das hielt uns letztlich auch davon ab, überhaupt Pausen einzulegen. Bei der Hitze und dem langen Aufstieg wurde der Tag dadurch extrem anstrengend. Leider hat es uns Mutter Natur ja auch nicht gerade einfach gemacht. Denn nachdem man sich stundenlang einen Berg hinauf gequält hat, geht es nicht etwa geradeaus weiter, sondern es geht wieder steil bergab. Und zwar nur, damit es – unten angekommen – sofort wieder bergauf gehen kann. Wäre ja sonst auch langweilig.

Reisterrassen

Als wir also endlich den ersten Aufstieg geschafft hatten, fanden wir uns in dem wirklich schönen Ort Bahundanda wieder. Viele Wanderer legen hier eine Mittagspause ein oder übernachten hier. Aber wir waren leider schon zu spät dran und gingen deswegen direkt weiter. Am Ende des Dorfes gibt es einen kleinen Abzweig zu einem Aussichtspunkt, aber wir wollten uns keine Verzögerungen erlauben. Darüber, dass wir an diesem Aussichtspunkt vorbeigelaufen sind, ärgere ich mich heute noch. Nur wenige Meter später begann nämlich der steile Abstieg – mit einer unglaublichen Aussicht auf das Tal. Wir konnten einfach gar nicht anders, als unsere Rucksäcke abzusetzen und den Anblick zu genießen. Wäre da nicht ein alter nepalesischer Opi gewesen, der uns schon seit dem Dorf verfolgt hatte und nun wild gestikulierend hinter uns stand. Er zeigte immer wieder auf sich und machte dann eine Geste, als ob er sich eine Kamera an das Auge hält und ein Foto schießt. Wir waren uns nicht sicher, ob er unsere Kamera haben wollte, um uns zu fotografieren oder ob er selbst fotografiert werden wollte. Sicher war jedenfalls, dass wir unsere Kameras nicht aus den Händen geben würden. Als ich dann ein Foto von ihm machen wollte, verlangte er nach Geld. Gut, dann halt nicht, Opi. Wir blieben einfach noch eine Weile stehen, in der Hoffnung, dass der Herr irgendwann gehen würde. Aber das tat er nicht. Also begannen wir unseren Abstieg. Der Opi folgte uns, aber bereits innerhalb kürzester Zeit hatten wir ihn abgehängt.

Bahundanda

Das ist leider das Problem mit Asien; wir sind durch Vietnam immer noch etwas geschädigt, wo viele der Einheimischen einfach nur unfreundlich waren und permanent versucht haben, uns abzuzocken. Dadurch gehen wir den Einheimischen oftmals einfach aus dem Weg, statt uns auf sie einzulassen. Dadurch entgeht man zwar der ein oder anderen Abzocke – aber man verpasst auch unheimlich viel. Später auf dem Trek wurden uns zum Beispiel von einigen Dorfbewohnern Orangen angeboten, die wir dankend ablehnten und schnell weitergingen. Dann trafen wir eine Schweizerin mit einem ganzen Haufen Obst im Gepäck. Die Dorfbewohner hatten es verschenkt und wollten überhaupt kein Geld dafür. Sie wollten einfach nur den Wanderern etwas Gutes tun. Ziemlich unhöflich, so eine liebe Geste abzulehnen, oder?

Nunja, zurück zu Etappe 1… Nachdem wir also den Abstieg hinter uns gelassen hatten, ging es weiter durch Reisfelder und Wald. Wir durchquerten das kleine Örtchen Lili, wo wir uns am Wegrand schnell einen frischgepressten, unfassbar leckeren Orangensaft gönnten (übrigens: die Orangen sind dort grün!) und kamen dann in das hübsche Dörfchen Ghermu, an dessen Ende wir eine gemütliche Lodge entdeckten. Ein guter Platz für eine kleine Teepause. Da wir zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich im Eimer waren und Fab inzwischen ziemliche Schulterschmerzen hatte, kam uns das äußerst gelegen. Wir stellten unsere Rucksäcke ab, zogen die Wanderschuhe aus und lehnten uns für einige Minuten entspannt zurück. Es war bereits 14 Uhr und wir hatten noch zwei anstrengende Stunden vor uns. Einen kurzen Augenblick lang überlegten wir, einfach hier zu bleiben. Aber irgendwie wollten wir nicht schon am ersten Tag in Rückstand geraten. Man weiß ja nicht, was noch kommt. Und wir waren uns zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht sicher, ob wir es beim Circuit belassen oder im Anschluss daran noch weiter zum Annapurna Basecamp laufen wollten. Die Wanderung dorthin hätte noch zusätzliche 7 Tage in Anspruch genommen und unser Zeitfenster für den Circuit damit deutlich verkürzt. Wir bissen also die Zähne zusammen. Ich nahm Fab noch etwas Gewicht ab, um seine Schulter zu entlasten und dann wanderten wir weiter.

Ghermu

Schon kurz nach Ghermu kamen wir an eine Hängebrücke, die uns nach Syange führte. Von solchen Hängebrücken gibt es auf dem Trek wirklich Unzählige – sehr zur Freude für mich und meine Höhenangst. Nicht. An Fab geklammert und den Blick starr auf meine Füße gerichtet hatte ich mich schon über die halbe Brücke gequält, da höre ich nur ein „Oh-oh“ von Fab. Wir bekamen Gegenverkehr. Von einer Herde Esel. Wir mussten also wieder umdrehen, den ganzen Weg über die Brücke zurücklaufen und dann vor der Brücke geduldig warten, bis alle Esel an uns vorbeigetrottet waren. Und dann durften wir noch einmal von vorne anfangen.

Syange

Nach der Brücke kamen wir wieder zurück auf die Jeep-Piste, der wir nun bis zum Etappenziel folgen mussten. Die Straße führte im Zick-Zack steil den Berg hinauf und saugte noch den letzten Tropfen Energie aus uns heraus. Immer wieder fuhren Jeeps an uns vorbei, die den Staub auf der Piste aufwirbelten und uns das Atmen noch zusätzlich erschwerten. Doch irgendwann war es endlich so weit; wir konnten in kurzer Entfernung Jagat erkennen, unser Etappenziel für heute.

Jagat

Dort angekommen, lachten uns in der ersten Unterkunft am Ortseingang der Belgier und der Engländer entgegen. Aber wir hatten in unserem Wanderführer von einer ganz tollen Lodge gelesen und liefen deswegen weiter. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Als wir in der Eco Lodge ankamen, ließen wir uns ein Zimmer zeigen. Geräumig, dicke Matratzen, sogar ein eigenes Klo und eine warme Gemeinschaftsdusche – was will man mehr? Leider waren vor uns bereits so viele duschen, dass das Wasser eiskalt und die Dusche abartig dreckig war. Fab ist beim Duschen erstmal die Seife aus der Hand gerutscht und – wie sollte es auch anders sein – geradewegs ins Hockklo gefallen. Außerdem schien die Unterkunft nicht nur in unserem Wanderführer bekannt zu sein. Die Lodge füllte sich rasend schnell mit ganzen Gruppen von Wanderern, denn scheinbar ist sie sehr beliebt bei den Guides und Trägern. Mit Entspannung und Ruhe war also nichts. Daher entschieden wir uns, einfach sehr zeitig ins Bett zu gehen. Aber es dauerte nicht lange, da wurden wir ziemlich brutal aus dem Schlaf gerissen. Was man nämlich wissen sollte ist, dass die Häuser in diesen Dörfern allesamt komplett aus Holz gebaut sind. Und irgendwann betraten drei kräftige Engländer ihr Zimmer über uns. Man könnte meinen, sie seien durch ihr Zimmer gesprungen, so wie es bei jedem Schritt gepoltert hat. Es war ein Höllenlärm, unsere Betten haben gewackelt und es rieselte Dreck von der Decke. Und man konnte natürlich jedes Wort hören, das sie da oben wechselten. Und jedes Mal, wenn wir gerade wieder am einschlafen waren, rumpelte es wieder. Und jedes Mal schreckten wir wieder aus dem Schlaf. Irgendwann fing ich an mich zu fragen, wie lange die Decke das Ganze wohl aushalten würde. Und das war Lektion 2: Schlaf immer im Obergeschoss!

Die Ankunft in Nepal

Unser kleines Abenteuer begann am 4. November 2017 in Kathmandu, als wir aus dem Flugzeug stiegen, die vertraute asiatische Luft einatmeten und uns sofort in unsere Weltreise zurückversetzt fühlten. Ich weiß nicht, was die Luft dort so besonders macht, aber es braucht nur einen Atemzug, um sich völlig frei zu fühlen und in absoluter Urlaubsstimmung zu sein. Da ist der ganze Einreiseprozess doch gleich viel entspannter.

Nachdem wir unsere Visa bekommen und alle Kontrollen passiert hatten, suchten wir uns ein Taxi und fuhren durch einen riesigen Verkehrstrubel in das Touristenviertel Thamel. Tatsächlich ist der Verkehr dort so chaotisch, dass in Taxis und Bussen sogenannte „Contact Boys“ auf dem Beifahrersitz mitfahren, die dem Fahrer durch Pfeifen und Klopfen signalisieren, ob der Weg frei ist. Das Schöne an Thamel ist, dass die Straßen seit Kurzem für Pkws gesperrt sind und man ganz gemütlich dort entlang schlendern kann. Zumindest wenn man an die ganzen Händler gewöhnt ist, die einem natürlich immer etwas verkaufen wollen. Besonders verbreitet sind dort Läden mit allmöglichem Outdoor-Equipment, was in einem Land wie Nepal ja auch vollkommen Sinn macht. Von Wander- und Winterklamotten über Schlafsäcke bis hin zu Rucksäcken, Steigeisen und Trekkingstöcken findet man dort wirklich alles, was man eventuell zum Wandern gebrauchen könnte. Daneben gibt es zahlreiche Tee- und Gewürzläden, Souvenirshops und Trekking Agencies. Und abhängig vom eigenen Erscheinungsbild werden einem gerne auch Drogen angeboten (davon blieben wir aber die meiste Zeit verschont).

Touristenviertel Thamel

Ein weiterer Vorteil von dem Fahrverbot in Thamel ist die bessere Luft. Und mit „besser“ meine ich keineswegs „gut“. Die Luft in Kathmandu ist absolut katastrophal. Das kann man sich als Europäer wirklich überhaupt nicht vorstellen. Die Luftverschmutzung durch Autoabgase und Müllverbrennungen am Straßenrand und dazu noch die ungünstige Lage mitten im Tal machen das Atmen extrem schwer. Ohne Mundschutz hält man es kaum länger als zwei Tage in dieser Stadt aus. Und auch wir wollten hier daher lieber keine Zeit verlieren.

Flug nach Nepal – linkes Bild: Blick auf Himalaya; rechts Bild: Feinstaub über Kathmandu

Trotzdem gab es noch einiges zu erledigen, bevor wir uns auf den Weg zum Annapurna Circuit machen konnten. Am Tag nach unserer Ankunft statteten wir dem Nepal Tourism Board einen Besuch ab, um unsere Genehmigungen für das Trekking zu besorgen. Insgesamt benötigt man für den Annapurna Circuit nämlich zwei Permits: das ACAP-Permit als Eintrittserlaubnis in die Annapurna Conservation Area und das TIMS-Permit für das Trekkers Information Management System, bei dem sich alle Trekker für Notfälle registrieren müssen. Jede dieser Genehmigungen kostet pro Person ca. 20,- EUR und ist unterwegs mehrfach vorzuzeigen. Das Ausstellen der Genehmigungen ging zum Glück recht fix und so hatten wir noch den ganzen Nachmittag Zeit, um Wanderstöcke und Handschuhe shoppen zu gehen. Letzteres gestaltete sich leider als ziemlich kompliziert, da wir einfach keine gescheiten Handschuhe finden konnten. Entweder waren sie zu dünn oder zu hässlich. Ziel war es ja nicht, irgendein Wegwerfprodukt zu kaufen, sondern etwas, das wir auch zu Hause noch verwenden würden. Am Ende war uns aber klar, dass wir solche Dinge künftig doch lieber zu Hause in Deutschland kaufen. Wer billig kauft, kauft eben letztendlich doch zwei Mal…

Am nächsten Morgen war es dann so weit. Wir machten uns auf den Weg nach Besisahar, dem Startpunkt der Annapurna-Runde. Dafür hatten wir uns Sitze in einem Touristenbus gebucht, denn von den Bussen der Einheimischen wird aus Sicherheitsgründen strengstens abgeraten. Für die Strecke von 175 km haben wir dann immerhin knapp 8 Stunden gebraucht. In Asien ist es übrigens ganz normal, dass aller zwei Stunden eine Pause eingelegt wird. Die Mittagspause ist dabei besonders lang, weil man vor einem Restaurant abgesetzt wird und alle erstmal gemütlich essen. Leider ist kurz vor unserer Mittagspause der Keilriemen vom Bus gerissen und unser Busfahrer musste sich von einem Anwohner ein Motorrad ausleihen, um im nächsten Dorf einen neuen Keilriemen zu besorgen. Die Pause dauerte gefühlt eeewig und hielt den Busfahrer natürlich nicht davon ab, eine halbe Stunde später trotzdem am Stammlokal anzuhalten und seine ausführliche Mittagspause einzulegen. Als wir dann irgendwann in Besisahar waren, war es schon zu spät, um noch am gleichen Tag loszuwandern, aber irgendwie auch zu früh, um den Rest des Tages in diesem eher unschönen Ort herumzusitzen. Wir sprangen deshalb kurzerhand in einen Local Bus, der uns nach Bhulbhule brachte. Bhulbhule ist das zweite Örtchen auf dem Circuit und der Eingangspunkt zur Annapurna Conservation Area. Viele Trekker starten ihre Tour deswegen erst hier, aber die Fahrt hierher ist eher Geschmackssache, um es vorsichtig auszudrücken. Die „Straße“ ist mehr als nur holprig, sodass man hin und wieder vom Sitz abhebt, das Gepäck durch den Bus fliegt und auch die ein oder andere Beule nicht ausbleibt. Die Fahrt dauert aber immerhin nur knapp eine Stunde und ist irgendwie auch ziemlich lustig.

In Bhulbhule angekommen gingen wir einfach gleich in die erstbeste Unterkunft direkt neben der Bushaltestelle. Genau wie alle anderen aus dem Bus auch. Und so wurde es schnell recht voll und gesellig. Wir tranken dann mit einem Australier, einem Kanadier, einer Neuseeländerin, einem Engländer und einem Belgier gemütlich Tee und freuten uns total auf die kommenden Tage. Und in der Nacht lernten wir schon die erste Lektion auf unserer Tour: Nimm niemals ein Zimmer ohne zuvor einmal auf dem Bett gesessen zu haben. Das B(r)ett war nämlich so extrem hart, dass wir kaum ein Auge zu gemacht haben. Trotzdem waren wir am Morgen aber erstaunlich munter. Wir standen zeitig auf, haben unsere Kräfte mit Porridge und gebratenen Nudeln gestärkt und los ging die große Wanderung!

Namaste!

29 Tage waren wir in Nepal. Die meiste Zeit davon haben wir auf dem Annapurna Circuit verbracht, einer der schönsten und abwechslungsreichsten Trekkingrouten der Welt. Die Umrundung der Annapurna-Gebirgskette dauert insgesamt fast drei Wochen. Die Route führt an drei der weltweit vierzehn 8.000er vorbei, über einen Pass auf 5.416 m Höhe und schließlich durch das tiefste Tal der Welt. Auf einer Länge von ca. 250-280 km kommt man dabei durch fast alle Klimazonen. Während man anfangs noch bei fast 30 °C durch saftig grüne Wälder und Reisterrassen wandert, kämpft man sich später bei bis zu -15 °C durch karge, steinige Berglandschaften. Da der Trek im Winter wegen Kälte und Schnee nicht begehbar ist und im Sommer Monsunzeit herrscht, sind die besten Monate zum Wandern März/April und Oktober/November. Wir waren im November unterwegs und damit wirklich äußerst zufrieden. Die Sicht ist klar, der Himmel bis mittags stets wolkenfrei. Die absolute Hauptsaison im Oktober ist vorüber und der größte Ansturm von Trekkern weg. Es sind genug Menschen unterwegs, sodass man sich nicht völlig verloren fühlt und man unterwegs nette Leute kennenlernen kann, wenn man möchte. Aber man hat auch seine Ruhe, sieht manchmal stundenlang keine anderen Wanderer und muss sich überhaupt keine Gedanken über den nächsten Schlafplatz machen.

Die Möglichkeiten, den Annapurna Circuit zu bereisen, sind sehr vielfältig. Seit ein paar Jahren wird in Nepal das gesamte Straßennetz ausgebaut und alle Provinzhauptstädte werden daran angebunden. Aus diesem Grund befinden sich auf vielen Abschnitten der Trekkingroute Jeep-Pisten, mit denen man weite Teile des Circuits befahren kann. Nur wenige Wanderer machen daher heute noch die komplette Umrundung. Die Meisten springen nach der Passüberquerung in einen Jeep oder in ein kleines Flugzeug und lassen damit gleich ein ganzes Drittel der Wanderung weg. Wir haben sogar Leute getroffen, die tatsächlich noch nicht einmal wussten, dass der Trek eigentlich noch weiter geht.

Wer möchte, der kann den Circuit auch mit Guide und Träger wandern, notwendig ist das aber nicht. Obwohl die Tour schon allein wegen der Höhe teilweise sehr anstrengend ist, ist sie auch für Anfänger und weniger Trainierte sehr gut alleine machbar. Wir haben sowohl auf Guide als auch auf Träger verzichtet und sind stattdessen mit dem sehr empfehlenswerten Rother Wanderführer losgezogen. Auch im Nachhinein würden wir es niemals anders machen. Nichts ist schöner, als so eine grandiose Wanderung ganz in Ruhe und im eigenen Tempo genießen zu können. Niemand treibt dich voran oder hält dich auf. Niemand macht dir ein schlechtes Gewissen, wenn du zu viele oder zu lange Pausen machst oder vielleicht frühs doch einfach noch eine halbe Stunde länger liegen bleibst. Es ist ohnehin fast unmöglich, sich zu verlaufen und da man keinerlei Ausrüstung benötigt, sollte man sein Gepäck auch selber tragen können. Man muss ja noch nicht einmal seine eigene Verpflegung mitnehmen, denn der Annapurna Circuit ist ein sogenannter „Teahouse Trek“. Das heißt, dass es überall auf dem Weg kleine einheimische Dörfer gibt, in denen man zahlreiche Lodges zum Essen und Übernachten findet. Selbstverständlich darf man dort keine europäischen Standards erwarten; so einen Luxus wie Staubsauger, Waschmaschinen oder auch nur Heizungen kennt man dort natürlich nicht. Im Normalfall gibt es noch nicht einmal richtige Klos, sondern nur Hocktoiletten. Auch warme Duschen findet man eher selten. Aber man gewöhnt sich erstaunlich schnell an das einfache Leben und besser als Campen ist es allemal. Und Eines muss man den Nepalesen definitiv lassen: Kochen können sie! Wir waren ja nun doch schon in so einigen Ländern unterwegs und ohne Zweifel gehört die nepalesische Küche zu unseren absoluten Favoriten. Das Nationalgericht heißt Dal Bhat und steht auf wirklich jeder Karte. Es handelt sich dabei um Linsensuppe (Dal) mit Reis (Bhat), Gemüsecurry und Pappadam, einem hauchdünnen frittierten Fladen aus Linsen- oder Kichererbsenmehl. Die Einheimischen essen dieses Gericht fast täglich und trotzdem wird es nie langweilig, weil es in jeder Küche anders schmeckt. Das Besondere an Dal Bhat ist übrigens, dass man kostenlos Nachschlag bekommt, bis man irgendwann ausdrücklich Stopp sagt. Hier gilt also: All you can eat!

Das nepalesische Nationalgericht Dal Bhat

Zu den weiteren typischen Gerichten gehören noch Momos (gedämpfte Teigtaschen mit Füllung), Samosas (frittierte Teigtaschen mit Gemüsefüllung), allerlei Suppen, gebratener Reis und gebratene Nudeln. Verhungern muss man hier also ganz sicher nicht, zumal die Preise ja durchaus erschwinglich sind. Das Essen wird zwar teurer, je höher man kommt – im Schnitt sind wir aber zu zweit mit 20-25 € pro Tag für drei Mahlzeiten sehr, sehr gut ausgekommen. Und da reden wir hier nicht etwa von kleinen Portiönchen, sondern von „ich ess, bis ich nicht mehr kann“ und dazu gab es dann bei fast jeder Mahlzeit noch 1 bis 2 Liter Tee. Wir haben es uns also schon recht gut gehen lassen für die paar Euro.

In vielen Lodges auf dem Weg zum Pass kann man übrigens – gerade im November, wenn die Hauptsaison vorbei ist – kostenlos schlafen, solange man dort Abendbrot und Frühstück isst. Mehr als 2-3 Euro zahlt man aber eigentlich nie. Das liegt zum Einen natürlich daran, dass die Einheimischen die Trekker in ihre Lodges locken wollen, da sie ihr Haupteinkommen ohnehin mit dem Essen machen. Zum Anderen verlangen die Nepalesen aber auch nur sehr ungern Geld von ihren Gästen. Mehr als Betten gibt es in den Zimmern sowieso nicht – kein Bad, keine Heizung und häufig noch nicht einmal Strom. Das ändert sich allerdings auf der Westseite vom Pass, da diese Seite deutlich touristischer ist. Vor allem Inder pilgern hier gerne zu den verschiedenen Tempeln, aber auch die Jeep-Pisten sind hier besser ausgebaut, sodass Touristen hier leichter hinkommen. Dennoch hat auch hier unsere teuerste Unterkunft gerade mal 8,50 € gekostet – und die hatte sogar eine heiße Dusche. Auf dem Zimmer!

Was man noch beachten sollte: Das Leitungswasser in Nepal ist sehr schmutzig und für uns Europäer daher äußerst unverträglich. Man kann zwar auf dem ganzen Trek Wasser in Flaschen kaufen, aber davon sollte man tunlichst die Finger lassen! Nepal hat ein ungeheures Müllproblem. Plastikflaschen landen dort grundsätzlich in der Natur und werden nicht recycelt. Es ist wirklich traurig, was man dort teilweise zu sehen bekommt. Man sollte also unbedingt seine eigene Trinkflasche mitbringen und das Leitungswasser filtern. Viele verwenden dafür Chlortabletten, aber mal abgesehen von dem abartigen Geschmack ist das ziemlich ungesund. Wir haben uns deswegen einen SteriPEN gekauft, der das Wasser mittels UV-Licht entkeimt. Das ist absolut sicher und geht ganz fix (Chlortabletten brauchen bis zu 2 Stunden). Bei uns hat es wirklich 1a funktioniert.