Etappe 5: Chame – Lower Pisang (3.200 m), 6.30 h

Da wir hier in Chame endlich unseren längst überfälligen Ruhetag einlegen wollten, blieb der Wecker heute mal aus. Natürlich waren wir trotzdem relativ zeitig wach, da wir auch am gestrigen Abend wieder sehr früh ins Bett gegangen waren und anschließend gute 12 Stunden geschlafen hatten. Allerdings war die Nacht nicht sonderlich angenehm gewesen, da der Rauch am Abend meinem Hals ziemlich zugesetzt hatte und ich dadurch die ganze Nacht mit Halsschmerzen und Husten zu kämpfen hatte. Ein Erholungstag war jetzt genau das, was ich brauchte. Und zum Glück wollten auch die anderen Drei heute in Chame bleiben, sodass uns ganz sicher nicht langweilig werden würde.

Wir blieben noch etwas in unseren Betten liegen und genossen die Ruhe, bevor wir gegen 8 Uhr nach nebenan in den Dining Room gingen. Dort trafen wir auch den Rest unserer kleinen Gruppe. Offenbar waren wir mal wieder so ziemlich die einzigen Gäste in dieser Lodge, was uns etwas verwunderte, da eigentlich fast alle Trekker in Chame übernachten. Für uns war das natürlich klasse, weil wir in Linda, Thomas und Cian eine großartige Wandergruppe gefunden hatten und dadurch nicht so den großen Drang verspürten, haufenweise Leute kennenzulernen. Die komplette Unterkunft für sich alleine zu haben bedeutet ja schließlich auch, dass es ruhiger ist, man eine höhere Chance auf eine warme Dusche hat und das Essen schneller fertig ist. Dann aber kam leider genau das, was kommen musste: Linda und Thomas wollten bereits heute die nächste Etappe laufen, da Linda inzwischen wieder fit war. Und Cian, der zwar stark erkältet war und immer noch starke Schmerzen in den Beinen hatte, wollte sich den Beiden anschließen. Sein Problem war, dass er viel zu wenig Zeit für den Trek eingeplant hatte und er sich einen Ruhetag einfach nicht leisten konnte. Fab und ich aber hatten mehr als genug Zeit eingeplant, nämlich für genau solche Situationen wie die Jetzige. Trotzdem hatten wir überhaupt keine Lust darauf, den ganzen Tag alleine in Chame herumzusitzen und „unser Team“ zu verlieren. Nach langem Hin und Her packten also letztendlich auch wir unsere Sachen, obwohl ich mich dabei nicht ganz wohl fühlte. Ich wusste, dass dieser Tag kein Spaß wird. Die heutige Etappe war fast 17 km lang und unterwegs gab es kaum Dörfer, in denen man zur Not eine Nacht hätte bleiben können. Außerdem war es schon nach 10 Uhr und schnell vorankommen würden wir heute mit Sicherheit nicht. Dennoch war ich überzeugt, dass ich das schaffe.

Als wir die Lodge verließen und der Straße weiter Richtung Nordwesten folgten, merkten wir, dass wir noch gar nicht richtig in Chame angekommen waren. Scheinbar handelte es sich nur um eine kleine Ansammlung von Lodges wenige Minuten vor dem eigentlichen Ort, die wir von nun an Fake-Chame nannten. Kein Wunder, dass uns die Dame von unserer Lodge gestern so tolle Angebote gemacht hat; hätten wir erst einmal weiter geschaut, wären wir definitiv nicht wieder zurück gekommen.

Auf unserem Weg nach Chame wurden wir von einem großen Hund begleitet, der freudig zwischen uns hin und her rannte und sich ein paar Streichler abholte. Am Ortseingang machte er dann aber kehrt und ging weg. Wir durchquerten den Ort, hielten am Ortsende noch kurz an einer kleinen Apotheke und besorgten mir Hustensaft und Halsbonbons. Dann verließen wir Chame durch eine weiße Chörte (eine tibetische Stupa).

Buddhistische Chörte

Der Weg folgte auch hier noch immer der Jeep-Piste, die neben dem Fluss durch dichten Nadelwald führte. Obwohl der Weg wenig anspruchsvoll war und auch der Aufstieg eigentlich kaum ein Problem darstellen sollte, mussten wir doch permanent anhalten und kurze Verschnaufpausen einlegen. Cian und ich waren einfach völlig überfordert und konnten mit dem Tempo der Anderen kaum mithalten. Erschwerend hinzu kam dabei natürlich auch, dass die Landschaft auf dem Weg durch den Wald relativ monoton war und daher keinerlei Ablenkung von der Erschöpfung bot. Stattdessen kam es mir eher so vor als würden wir überhaupt nicht vorankommen, wodurch ich gleich noch viel träger wurde. Ich war todmüde, mir lief ununterbrochen die Nase und ständig musste ich anhalten, um mir einen neuen Vorrat an Taschentüchern aus dem Rucksack zu holen. Minuten kamen mir wie Stunden vor und der Gedanke daran, was wir an diesem Tag noch vor uns hatten, sorgte nicht gerade für gute Laune. Ich war irgendwie sauer auf Fab, weil er mich am Morgen nicht davon abgehalten hatte, diese Etappe in Angriff zu nehmen, obwohl ich genau wusste, dass er die Entscheidung mir überlassen hatte. Und ich hatte das starke Bedürfnis, einen Einheimischen anzuschreien, der einige Kühe an uns vorbei trieb, die er immer wieder anbrüllte und mit einem Stock schlug, sodass einer Kuh schon Blut über das Gesicht lief. Am liebsten hätte ich mir einfach im nächsten Dorf eine Lodge gesucht und mich ins Bett gelegt. Aber es gab kein Dorf, in dem man hätte übernachten können.

Auf dem Weg nach Pisang

Und dann – nach etwa 2 Stunden – lichtete sich vor uns plötzlich der Wald. Wir kamen auf eine riesige Apfelplantage und fanden uns kurz darauf vor einem großen, neu gebauten Teahouse wieder. Wir gingen hinein und suchten uns ein Plätzchen für eine Mittagspause. Der Annapurna Circuit ist übrigens bekannt für seine super leckeren Apfel-Pies, -Crumbles und -Pancakes, die man fast überall auf dem Trek kaufen kann. Scheinbar ist nämlich das Klima im Himalaya bestens für den Anbau von Äpfeln geeignet. Ich selbst kann zwar leider keine Äpfel essen, aber alle anderen haben wirklich sehr von den Leckereien geschwärmt.

Teahouse in Bhratang

Ein ganzes Stück später zwangen wir uns dann schließlich zum Weiterlaufen. Wir alle waren ziemlich fertig und hatten eigentlich überhaupt keine Lust mehr. Trotzdem hatten wir noch Einiges vor uns und wir hatten schon wieder viel zu lange gesessen, sodass es bereits früher Nachmittag war. Wir folgten der Jeep-Piste weiter den Fluss entlang, während die Landschaft langsam karger und felsiger wurde. Wir kamen an eine Kurve, hinter der sich ein unglaublicher Ausblick auf eine gewaltige, steile Felswand auftat. Die Wand gehört zum heiligen Berg Swargadwari und sieht aus wie eine riesige Rampe. Der heilige Berg ist teilweise bis zu 5.000 m hoch, von denen aber 2.000 m einfach nur glatte Felsfläche sind. Für die einheimischen Buddhisten ist der Berg deshalb so heilig, weil er für sie als eine Rampe ins nächste Leben galt. Lange Zeit legten sie die Verstorbenen an den Fuß dieser Felswand, damit der Wind diese über die Rampe in den Himmel trägt.

Der heilige Berg

Die nächsten Minuten wanderten wir geradewegs auf den Berg zu, bis uns irgendwann eine Hängebrücke auf die andere Flussseite führte. Auf einem schmalen Waldweg stiegen wir dort immer weiter den Berg hinauf. Cian hatte inzwischen so starke Schmerzen in seinen Beinen, dass er kaum noch laufen konnte. Es war sogar so schlimm, dass Linda ihm seinen schweren Rucksack abnahm und ihm dafür ihren deutlich leichteren Rucksack gab. Wir hatten erst überlegt, das Gewicht zwischen uns allen aufzuteilen, aber Fab hatte mir bereits ein paar schwere Sachen abgenommen, um mich an diesem Tag zu entlasten. Auf dem Weg nach oben fiel mir dann das erste Mal auf, dass Thomas sich unterwegs immer wieder bückte, um Müll vom Boden aufzusammeln und in seine Taschen zu stecken. Die Idee fand ich unglaublich cool und absolut unterstützenswert, allerdings ist das mit dem Müll auf dem Trek ja leider so eine Sache. Wenn man den eingesammelten Müll abends in der Lodge in den Papierkorb wirft, kann man eigentlich davon ausgehen, dass alles wieder irgendwo im Wald landet. Deswegen haben wir unseren eigenen Müll auch nirgendwo auf dem Trek entsorgt, sondern bis zum Ende bei uns getragen.

Als wir dann nach dem recht anstrengenden Aufstieg oben wieder auf die Piste kamen, änderte sich die Umgebung langsam richtig deutlich. Wir hatten die 3.000 m-Grenze überschritten und das Manang-Tal betreten. Die Bäume waren schon fast vollständig verschwunden, stattdessen war die Landschaft nun kahl und steinig. Um uns herum ragten jetzt große, teilweise schneebedeckte Bergspitzen in den Himmel und hinter uns war noch immer die gewaltige Felswand des heiligen Berges zu sehen. Ein Gefühl von Ehrfurcht kam auf.

Manang-Tal

Wir überquerten eine gerade Steinebene und erreichten irgendwann eine Gabelung, an der wir uns für einen von zwei möglichen Wegen entscheiden mussten. Der eine führte auf direktem Wege nach Lower Pisang, in dem es viele neuere Lodges gibt. Der zweite Weg führte über Upper Pisang, dem älteren Teil von Pisang, der weiter oben am Berg liegt und noch recht ursprünglich ist. Wir entschieden uns für den linken Weg, der weiter über die Ebene und direkt nach Lower Pisang führte. Zwar soll sich ein Abstecher nach Upper Pisang sehr lohnen, jedoch wurde es langsam dunkel und schlafen wollten wir dann doch lieber in einer der „moderneren“ Lodges.

In Lower Pisang merkten wir sofort, dass sich nicht nur die Landschaft geändert hatte. Auch die Häuser waren hier ganz anders. Zum Einen gab es keine Holzhäuser mehr, weil es hier oben viel zu kalt dafür war. Die Häuser waren nun allesamt aus Stein gebaut und dadurch auch etwas besser isoliert. Zum Anderen waren die Häuser hier aber auch viel einfacher und kleiner als in den Orten zuvor. Offenbar begann ab hier das richtige, echte Bergleben.

An einigen Lodges gingen wir direkt vorbei, weil wir schon durch die Fenster sehen konnten, dass die Esszimmer recht voll waren. Zum Ende der Hauptstraße hin wurde es aber deutlich ruhiger. Wir teilten uns auf; Linda und ich schauten uns eine Lodge an, während Thomas in ein anderes Guesthouse ging. Am Ende gewann das Guesthouse von Thomas, weil er uns dort kostenlose Zimmer mit eigenem Bad aushandeln konnte. Offenbar waren wir nämlich mal wieder die einzigen Gäste und haben deswegen die guten Zimmer bekommen. Ein eigenes Bad weiß man auf diesen Höhen übrigens ganz besonders zu schätzen. Zum Duschen war es zwar viel zu kalt, weil es kein warmes Wasser gab und wir langsam in die Minusgrade kamen – aber tagsüber trinkt man so viel, dass man nachts ziemlich oft wohin muss und dann ist man echt heilfroh, wenn man nicht erst aus dem warmen Schlafsack raus, drei Schichten Klamotten anziehen und durch den halben Hof rennen muss. Und inzwischen hatten wir uns auch mit den Hockklos angefreundet, vor denen wir uns anfangs noch etwas gefürchtet hatten. Denn mal ehrlich: auf ein normales Sitzklo würde man sich dort aus hygienischen Gründen ohnehin nicht setzen wollen…

Wir legten also kurz unsere Sachen im Zimmer ab und versammelten uns dann im Dining Room zum Abendessen. Noch während wir die Speisekarte durchstöberten, fiel unser Blick in die offene Küche, in der irgendein in Scheiben gehacktes totes Tier von der Decke hing. Die Dame des Hauses erklärte uns, dass es sich dabei um Yak handelte. Yaks gibt es auf dem Annapurna Trek in unzähligen Mengen und dementsprechend auch auf den Speisekarten. Wir hatten allerdings gelesen, dass man auf Yak-Fleisch lieber verzichten sollte, weil die Tiere nur einmal im Jahr geschlachtet und anschließend monatelang gelagert werden, sodass das Fleisch nicht immer im besten Zustand ist. Geschlachtet wird jedoch im November, also genau während unserer Wanderung. Und auch das Tier, das dort in der Küche hing, wurde gerade mal zwei Tage vorher geschlachtet. Und das mussten die Jungs gleich probieren. Da die Karte aber nichts wirklich Interessantes mit Yak-Fleisch zu bieten hatte, fragten sie die Dame, ob es eventuell möglich wäre, eine Pizza mit Yak-Fleisch zu belegen. Die Dame fand das super amüsant, aber ein Stückchen später servierte sie die neu kreierten Yak-Pizzen. Auch mir stellte sie statt meiner Zwiebelpizza eine Yak-Pizza vor die Nase, aber ich bestand auf meiner Zwiebelpizza. Daraufhin gab sie die Yak-Pizza dem Opi – vermutlich ihr Vater –, der neben unserem Tisch am Holzofen saß. Seinem Gesichtsausdruck zufolge war das für ihn wie Weihnachten. Generell hatten wir sehr stark den Eindruck, dass es für die Einheimischen kaum etwas Besseres gab als wenn die Trekker etwas von ihrem Essen übrig ließen oder zu viel gekocht wurde. Denn für sie gibt es ja normalerweise jeden Tag Dal Bhat. Als dann irgendwann auch meine Zwiebelpizza gekommen war und wir uns die Bäuche vollgehauen hatten, beendeten wir den Abend noch gemütlich mit einem Kartenspiel und leckerem Pfefferminztee.

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