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Etappe 12: Jomsom – Kalopani (2.540 m), 8 h, ca. 33.8 km

Aus irgendeinem Grund stand für uns am nächsten Morgen völlig außer Frage, dass wir den Trek nun doch zu Fuß beenden würden. Das hatten wir uns vorgenommen und das wollten wir auch durchziehen. Den Asphalt hatten wir ja scheinbar endgültig hinter uns gelassen und ab Jomsom gab es ohnehin Alternativrouten auf der anderen Seite des Flusses, abseits von Straßen und Jeeps. Natürlich war da noch der Wind, aber so langsam kamen wir wieder in Regionen, wo Bäume wachsen, sodass wir einigermaßen geschützt laufen konnten. Ansonsten mussten wir einfach zusehen, dass wir bis zum Aufkommen des Windes um 11 Uhr einen Großteil unserer Strecke schaffen. Und da wir gestern ja dann doch recht lange unterwegs waren, wollten wir dafür heute unsere Strecke kürzen und mittags schon am Ziel sein. In einem Ort namens Tukuche sollte es laut unserem Wanderführer eine hübsche holländische Lodge mit einer tollen Bäckerei geben. Und da wollten wir hin.

Wir verließen Jomsom zunächst wieder auf der Jeep-Piste und folgten dem Fluss durch steiniges Gelände. Hin und wieder kamen wir an kleinen Häuschen vorbei, die am Wegrand standen, oder an Baustellen. Man spürte deutlich, dass auf der Westseite des Passes ein viel geschäftigeres Treiben herrschte. Das liegt womöglich auch an der historischen Vergangenheit dieser Gegend. Das gesamte Kali-Gandaki-Tal war einst eine sehr bedeutende und wohlhabende Gegend, weil es eine der Hauptrouten für den Salzhandel zwischen Tibet und Indien war. Mit der Zeit verlor der Salzhandel jedoch an Bedeutung, vor allem weil Indien seinen Bedarf auf anderem Wege deckte. Und als China dann letztlich Tibet besetzte, war mit dem Salzhandel endgültig Schluss. Für das Kali-Gandaki-Tal stellte das natürlich einen völligen wirtschaftlichen Einbruch dar, aber all die Häuser und die geschäftstüchtigen Einheimischen sind geblieben. Später gewann dann der Tourismus für das Tal sehr stark an Bedeutung, aber mit dem Ausbau der Straße ist auch damit wieder Schluss. Außer uns waren nach Jomsom kaum noch Trekker unterwegs. Die Einheimischen starrten uns teilweise richtig an, denn offenbar waren sie Ausländer hier schon gar nicht mehr wirklich gewohnt. Hin und wieder fuhr auch ein Jeep mit Trekkern an uns vorbei und selbst die Trekker schauten uns alle ganz verwundert an.

Die ersten Bäume kehren zurück (Jomsom)

Schon bald häuften sich auch die Bäume langsam wieder und Stück für Stück wurde es immer grüner um uns herum. Nach gut einer Stunde erreichten wir den Ort Marpha, der bekannt für seine Obstplantagen ist. Vor allem Apfel- und Aprikosenbäume gibt es hier in unzähligen Mengen. Auf einem gepflasterten Weg durchquerten wir zahlreiche Obstgärten, die neben dem eigentlichen Ortskern liegen. Eine besondere Attraktion in Marpha ist wohl auch eine Obstbrandy-Destillerie, die man besichtigen kann. Den Brandy haben wir in der Region mehrfach gesehen und wir hätten auch gerne eine Flasche mit nach Hause genommen. Allerdings wollten wir von Nepal aus noch auf die Malediven und dort darf man natürlich keinen Alkohol importieren.

Noch während wir durch die Obstgärten marschierten, kam ganz plötzlich wieder der stürmische Wind auf. Es war gerade mal 10 Uhr, sodass wir damit noch gar nicht gerechnet hatten. Sofort blies es uns wieder Staub ins Gesicht und wir mussten unsere Augen mit vorgehaltenen Armen schützen. Wir holten unsere Jacken, Mützen und Sonnenbrillen aus den Rucksäcken und mummelten uns wieder ein. Auch heute war es eigentlich viel zu warm für dieses Outfit, aber ungeschützt durch den Wind laufen war deutlich unangenehmer als die Hitze.

Nachdem wir auch Marpha hinter uns gelassen hatten, zweigte links ein kleiner Pfad von der Jeep-Piste ab. Auf einem Schild am Rande des Pfades stand „Tukuche“, wo wir ja hinwollten. Wir folgten dem Pfad, der uns über eine Hängebrücke hinweg auf die andere Seite des Flusses brachte. Über einen grob gepflasterten Weg liefen wir durch ein kleines Dörfchen, dann weiter durch einen Nadelwald, vorbei an einem tibetischen Flüchtlingscamp und anschließend durch noch mehr Obstgärten.

Auf dem Weg von Marpha nach Tukuche
Auf dem Weg von Marpha nach Tukuche

Diese Seite des Flusses war wie ausgestorben. Kaum ein Mensch war zu sehen, kein Auto, keine staubige Piste. Der Weg führte uns wieder in einen Wald und abgesehen vom Rauschen des Windes in den Bäumen war einfach nur idyllische Ruhe. Wobei… Teilweise war die durch den Wind bedingte Schräglage der Bäume schon beängstigend und das Rauschen wurde manchmal schon fast zu einem Dröhnen. Trotzdem waren wir in dem Wald recht gut vor dem Wind geschützt. Etwas gruselig wurde es dann, als wir bei dem Wind einen Bach auf einer Hängebrücke überqueren mussten. Wir warteten kurz, bis eine Windböe vorbeigezogen war und gingen dann zügig über die Brücke. Glücklicherweise war der Wind dank des umliegenden Waldes auch hier nicht ganz so extrem. Richtig schlimm wurde es dann aber einige Minuten später. Da kamen wir nämlich an eine ziemlich lange Hängebrücke, die uns über das breite Flussbett zurück zur Jeep-Piste bringen sollte. Und zwar völlig ungeschützt inmitten der Windböen, die geradewegs durch das Tal fegten. Ich klammerte mich an Fabs Rucksack und nahm allen Mut zusammen. Die Brücke schaukelte wie irre im Wind. Immer wieder ließen uns kurze, kräftige Windstöße das Herz in die Hose rutschen. Die Brücke dürfte so um die 100 m lang gewesen sein, aber irgendwie schien sie kein Ende nehmen zu wollen. Als wir dann endlich drüben ankamen, brauchte ich erstmal eine Pause. Meine Beine zitterten noch Minuten danach. Wir brauchten noch etwa eine halbe Stunde, dann erreichten wir Tukuche. Die holländische Lodge war leicht zu finden, aber ihre Bäckerei schon vollkommen leergekauft und sämtliche Zimmer ausgebucht. Wir beschlossen daher, noch heute 15 km weiter bis nach Kalopani zu laufen. Trotzdem gönnten wir uns eine Mittagspause in der holländischen Lodge. Wir wuschen unsere Gesichter, die nach der letzten halben Stunde völlig schwarz waren vom ganzen Staub. Und dann lehnten wir uns erstmal zurück.

Unser Plan war, dass wir nach Tukuche wieder die Flussseite wechseln, um dann auf der anderen Seite weiter gemütlich durch den Wald zu laufen. Eine Hängebrücke gab es auf der Strecke glücklicherweise nicht. Stattdessen hatten die Einheimischen kleine, improvisierte Holzstege über die im Flussbett verteilten Flussläufe gelegt. Eigentlich. Denn finden konnten wir sie nicht. Wir suchten und suchten, aber nirgendwo konnten wir die Stege finden. Vermutlich wurden sie wegen des bevorstehenden Winters abgebaut. Oder wir haben sie schlicht übersehen. Auf jeden Fall hatte sich unser Plan damit erledigt. Wir mussten also wieder auf der Jeep-Piste laufen. Erstaunlicherweise ließ der Wind langsam nach, bis er irgendwann sogar fast vollkommen abgeklungen war. Für uns natürlich eine riesige Wohltat, da das Laufen wirklich deutlich leichter wurde.

Auf unserem Weg Richtung Südwesten wurden wir ständig vom Anblick des Dhaulagiri (8.172 m), des Tukuche Peak (6.920 m) und des Nilgiri (7.010 m) begleitet. Tatsächlich handelt es sich beim Kali-Gandaki-Tal sogar um das tiefste Tal der Welt. Während nämlich im Westen der Dhaulagiri mit seinen über 8.000 m Höhe in den Himmel ragt, befindet sich 30 km weiter im Osten die Annapurna I mit ebenfalls über 8.000 m Höhe. Und mittendrin fließt der Kali Gandaki auf ca. 2.500 m Höhe.

Die weitere Strecke führte uns durch Dörfer, die furchtbar verlassen aussahen. In den Gassen waren viele hübsche Lodges zu sehen, die mittlerweile geschlossen waren, und an Gabelungen standen große Karten mit tollen Ausflugstipps. Diese Orte müssen vor wenigen Jahren noch voller Trekker gewesen sein, doch heute litten sie sichtbar unter den Folgen des Straßenbaus. Nicht ein einziger Ausländer war in den Gassen zu sehen. Nicht eine einzige Lodge schien noch Besucher zu haben. Alles war einfach nur trist und ausgestorben. Es tat uns richtig leid, das so zu sehen. Und irgendwie hätten wir hier gerne auch etwas Zeit verbracht. Einige der Ausflüge klangen wirklich interessant. Zum Beispiel zeigte ein Schild den Weg zum riesigen Gletscher des Dhaulagiri. Bisher wussten wir noch nicht einmal, dass man diese Ausflüge überhaupt machen kann. Aber uns kam auch nicht wirklich in den Sinn, hier spontan einen Stopp einzulegen, weil wir uns einfach zu sehr auf das Ende des Treks freuten. Merkwürdigerweise kamen wir auch durch ein Dorf, das gerade vollkommen neu gebaut wurde. Links und rechts von der Straße wurde ein Haus neben das Andere gebaut. Überall wurde gearbeitet und gewerkelt. Männer wie Frauen waren auf den Beinen, hämmerten, hantierten herum und schleppten Sachen durch die Gegend. Warum sie ein völlig neues Dorf aus dem Boden stampften, obwohl alle umliegenden Dörfer so ausgestorben waren, leuchtete uns irgendwie nicht so ganz ein, aber es war unglaublich faszinierend, das zu sehen.

Die Stunden vergingen und unsere Füße wurden langsam schwer. Unser Ziel war noch weit entfernt, aber um uns herum wurde es langsam düster. Zum ersten Mal auf unserem Trek zogen dunkle Wolken über den Himmel, die stark nach Regen aussahen. Sie verfingen sich in der Spitze des Dhaulagiri und waren dadurch genau über uns. Dummerweise würde auch die Sonne bald untergehen und so allmählich bekamen wir echt Zeitprobleme. Vor uns lagen noch gute 1 ½ Stunden, aber mich überkamen Müdigkeit und schmerzende Füße. Mit der Zeit fiel mir das Laufen immer schwerer, meine Aufmerksamkeit ließ rapide nach und an meinen Füßen bildeten sich Blasen. Ich fühlte mich hundeelend und wollte einfach nur schlafen. Wir machten noch einmal Halt an einer Kurve, von der aus man einen fantastischen Ausblick auf das breite Flussbett hatte. Eine ganze Weile später überquerten wir wieder eine Brücke auf die andere Uferseite. Ich war inzwischen so müde, dass mich noch nicht einmal mehr die Höhe interessierte. Nach der Brücke kamen wir auf einen gepflasterten Weg, der uns zunächst weiter durch den Wald und dann durch einen winzigen, aber wirklich hübschen Ort führte. Dann kam eine weitere Hängebrücke, die uns – endlich (es war bereits 17 Uhr) – nach Kalopani, unserem heutigen Ziel, führte. Direkt am Ortseingang stand eine große Lodge, die einem richtigen Hotel glich. Obwohl wir davon ausgingen, dass uns die Zimmer viel zu teuer sein würden, ließen wir uns ein Zimmer zeigen. Es war hübsch, sauber, mit eigenem Bad und heißer Dusche und siehe da – aufgrund der Nebensaison kostete das Zimmer „nur“ ca. 8 Euro. Wir blieben direkt dort, legten unsere Sachen ab und gingen hinunter in die große Dining Hall, die man tatsächlich schon als Restaurant hätte bezeichnen können. Es waren einige Gäste da, die wohl alle bereits auf ihr Essen warteten und dementsprechend lange dauerte auch unsere Bestellung. Während wir dort saßen, wurde es immer kühler und irgendwann wurde uns sogar richtig kalt. Unsere Jacken hatten wir im Zimmer gelassen und da wir jeden Moment mit unserem Essen rechneten, wollten wir sie auch nicht erst noch holen. Das Essen dauerte aber ewig, zumal man einen Teil meiner Bestellung vollkommen vergessen hatte und wir daher noch relativ lange völlig umsonst weiter warteten. Das Ergebnis war, dass wir gute zwei Stunden später durchgefroren in unser Zimmer zurückkehrten und dann auch noch in der Kälte duschen mussten.

Am nächsten Morgen wachte ich mit einer fetten Erkältung auf und auch meine Füße schmerzten so sehr, dass ich noch nicht einmal mehr in meine Schuhe kam. Für uns war daher klar, dass wir an diesem Tag nicht weiter laufen würden. Wir gönnten uns ein langes Frühstück und schlenderten gemütlich durch das Dorf. Kalopani bietet einen wunderbaren 360°-Panoramablick, denn es ist umgeben vom Dhaulagiri, der Annapurna I, der Annapurna Süd und zahlreichen weiteren Bergen zwischen 6.800 und 7.700 m Höhe. Zum Mittagessen setzten wir uns daher auf die Dachterrasse einer anderen Lodge im Dorf und genossen die Aussicht. Völlig vollgefuttert liefen wir dann noch etwas durch die Gegend, machten ein paar Fotos und ehe wir uns versahen, wurde es auch schon wieder dunkel. Wir stiegen auf die Dachterrasse unserer Lodge und beobachteten von dort aus, wie die untergehende Sonne die umliegenden Bergspitzen in ein feuriges Rot tauchte.

Mittagessen auf der Dachterrasse
Annapurna in der untergehenden Sonne

Etappe 11: Muktinath – Jomsom (2.740 m), 7.00 h

Für viele ist der Annapurna Circuit vorbei, sobald sie den Pass überquert haben. Viele wissen noch nicht einmal, dass der Trek noch viel weiter geht. Denn irgendwie hat es sich so eingeschlichen, dass die Leute nach dem Pass einfach einen Jeep nehmen und den Rest fahren. Grund dafür ist der Straßenbau, der auch auf dieser Seite rapide voranschreitet. Lange Zeit gab es keine Alternativrouten zur Jeep-Piste und verständlicherweise hatte dann keiner mehr Lust darauf, ständig im Staub zu laufen. Obwohl es inzwischen ausgeschilderte Wege abseits der Piste gibt, ist die Westseite des Circuits noch immer ausgestorben. Aber wir waren fest entschlossen, den kompletten Trek bis zum Ende durchzuziehen.

Am Tag nach der Passüberquerung entschieden wir uns für eine kurze Etappe, um unseren Körpern ein bisschen Erholung zu gönnen. Unser Ziel war deshalb das unweit gelegene Örtchen Kagbeni, das zum Einen sehr schön sein sollte und zum Anderen auch ein guter Ausgangspunkt für einen Ausflug nach Mustang hinein war. Da der Marsch bis dort hin keine drei Stunden dauern sollte, starteten wir mal wieder ganz gemütlich in den Tag und liefen dann so gegen 10 Uhr los. Schon am Ortsende von Muktinath traf uns der erste riesige Schock. Wir fanden uns plötzlich und völlig unerwartet auf einer nigelnagelneuen asphaltierten Straße wieder, auf der uns auch direkt ein Bus entgegenkam. Die Straße muss erst wenige Wochen alt gewesen sein, denn nirgendwo war bisher jemals von einer asphaltierten Straße auf dem Circuit die Rede gewesen. Und für den Anfang der Etappe gab es auch keine wirkliche Alternative zu der Straße, die einst eine urige Jeep-Piste gewesen ist. Wir folgten also der Straße den Berg hinunter und mussten dabei immer wieder Jeeps, Mopeds und Bussen ausweichen. Es sollte bald eine Abkürzung durch ein kleines Dorf kommen, aber wir konnten sie partout nicht finden. Und so blieben wir weiterhin auf der Straße. Wir verloren immer mehr an Höhe und hatten dabei die ganze Zeit dieses skurrile Bild von der weiten, sandigen Wüstenlandschaft Mustangs im Auge, während im Hintergrund schon die nächsten schneebedeckten Bergriesen in den Himmel ragten. Einer davon war der Dhaulagiri, ein weiterer 8.000er.

Ausblick kurz nach Muktinath
Blick zurück zum Pass

Schon bald konnten wir in der Ferne auch Kagbeni erkennen. Wir folgten weiterhin der asphaltierten Straße und waren inzwischen ziemlich genervt von all den Autos und Bussen, die an uns vorbei rauschten. Und – so toll die Straße für die Einheimischen natürlich ist – wirklich hübsch war der Anblick auch nicht. Zumal sich am Straßenrand leere Teerkanister stapelten. Langsam konnten wir verstehen, warum diese Seite des Passes von Trekkern lieber gemieden wird. Wir selbst bekamen mittlerweile Zweifel an unserem Plan. Eine Woche lang über Asphalt zu wandern klang nicht besonders verlockend. Und dann kam auch schon die nächste unerfreuliche Überraschung: Der 11 Uhr-Wind. Jeden Tag um 11 Uhr erheben sich im Kali-Gandaki-Tal starke Windböen, die bis zum späten Nachmittag anhalten. Wir hatten zwar davon in unserem Wanderführer gelesen, aber auf seine enorme Stärke waren wir null vorbereitet. Wir konnten kaum geradeaus laufen, so stark drückte uns der Wind zur Seite. Wir kniffen die Augen zusammen, lehnten uns gegen den Wind und suchten immer wieder Schutz hinter Felsen. Das war der Punkt, an dem wir uns entschieden, den Circuit abzubrechen. Wir verwarfen unseren Plan, heute in Kagbeni zu übernachten und am nächsten Tag einen Ausflug nach Mustang zu machen. Stattdessen würden wir in Kagbeni nur schnell Mittagessen und dann direkt weiter zur nächsten größeren Stadt laufen, von wo aus wir dann morgen mit dem Jeep zum Ende des Treks fahren würden. Auf Asphalt und Sturm hatten wir überhaupt keine Lust. Dann lieber nochmal woanders wandern gehen…

Kagbeni mit dem „Eingang“ nach Upper Mustang

Ein steiler Hang führte uns die letzten Meter hinunter nach Kagbeni. Überraschenderweise hörte an diesem Punkt der Asphalt auf und die Straße ging wieder in eine Schotter-Piste über. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Asphalt noch ganz neu war und die Straße nun immer weiter ausgebaut wird. In Kagbeni gingen wir ohne große Umschweife direkt zu einer Lodge, die in unserem Wanderführer genannt war. Wir wollten keine Zeit verlieren, da unser neues Tagesziel – die Stadt Jomsom – noch gute 12 km entfernt lag. Noch während wir dort aßen, hörten wir draußen den Wind stärker werden. Zäune wackelten, Türen polterten und feiner Sand wirbelte in der Luft. Uns war klar, dass der Weg nach Jomsom der Horror werden würde. Ab Kagbeni verläuft der Weg direkt durch das Tal, entlang des breiten Flussbettes vom Kali Gandaki. Der ganze Wind wird durch dieses Tal geschleust und kommt einem mit voller Wucht entgegen. Es gibt keine Felsen, keine Bäume oder sonst irgendetwas Anderes, das einen vor dem Wind schützt. Aber wir mussten nur drei Stunden durchhalten und dann hätten wir es endgültig geschafft.

Kali-Gandaki-Tal

Es kam, wie es kommen musste. Wir quälten uns langsam, aber stetig dem Wind entgegen. Aufgewühlter Sand und Feinstaub blies uns geradewegs ins Gesicht. Wir zogen unsere winddichten Winterjacken und unsere Mützen an, obwohl es eigentlich zu warm dafür war. Wir setzten unsere Sonnenbrillen auf, um unsere Augen zu schützen und versuchten verzweifelt, mit den Armen den Sand abzuwehren. Nach einiger Zeit begannen Hals und Lunge zu brennen, weil wir zu viel von dem Staub eingeatmet hatten. Von der eigentlich wunderschönen Landschaft nahmen wir kaum etwas wahr. Wir liefen teils über die Jeep-Piste, teils direkt über das ausgetrocknete Flussbett. Auf dem Flussbett taten sich ständig richtige Sandstürme auf, bei denen nur noch wegducken half. Aber die Piste führte immer wieder steile Hänge hinauf und hätte uns deswegen deutlich mehr Zeit gekostet.

Aufgewirbelter Sand im Kali-Gandaki-Tal

Irgendwann kamen wir dann wieder an eine Stelle, an der ein Trampelpfad abseits der Straße durch das Kiesbett des Flusses führte. Wir überlegten kurz, welchen Weg wir nehmen würden und hatten uns schon fast für die Jeep-Piste entschieden, als wir ein ganzes Stück vor uns eine Gruppe von drei Leuten auf dem Kiesbett entdeckten. Wenn eine Gruppe aus drei Leuten besteht, dann ist einer davon meistens ein Guide. Und der wird schon wissen, wo es lang geht. Also gingen wir über das Flussbett. Circa eine halbe Stunde liefen wir über feinen Kies und balancierten über unbefestigte Steine. Die Jeep-Piste verlief einige Meter über uns am Hang und das heruntergekommene Geröll verbaute hin und wieder den Pfad. Dann hielten die Drei vor uns plötzlich an. Ihre Bewegungen ließen darauf schließen, dass sie nach einem Weg suchten. Kein gutes Zeichen. Wieder überlegten wir, wie wir weitermachen sollten. Weiterlaufen bis wir die Drei eingeholt hatten oder gleich umdrehen? Wir liefen weiter nach vorn. Umkehren hätte eine gute Stunde Umweg bedeutet und die Sonne war schon kurz vorm Untergehen. Wir holten die Dreiergruppe ein, die aus zwei Deutschen und einem Guide bestand. Sie erklärten uns, dass der Pfad verschüttet und nicht mehr begehbar sei. Offenbar wurde beim Straßenbau das ganze Geröll einfach den Hang hinuntergeschüttet und der Trampelpfad darunter begraben. Aber keiner von uns hatte die Motivation, die halbe Stunde nochmal zurückzulaufen und dann die Jeep-Piste zu nehmen. Wir schauten daher gemeinsam nach einer Stelle, an der wir den steilen Hang zur Straße hinaufklettern konnten. Das gestaltete sich als äußerst problematisch, da der Hang im Wesentlichen nur aus Kies bestand und die Absturzgefahr daher entsprechend hoch war. Nur an einer Stelle sprossen ein paar kleine Büsche aus dem Boden, die uns möglicherweise Halt geben würden. Ein Versuch war es wert. Wir kletterten nach oben, schlängelten uns durch das Gestrüpp, hielten uns an Wurzeln und Ästen fest und bemühten uns, uns nicht vom Gewicht der Rucksäcke nach hinten ziehen zu lassen. Und nach ein paar anstrengenden Minuten gelangen wir heil auf die Jeep-Piste. Bis nach Jomsom war es von hier aus nicht mehr weit. Die Straße führte schon bald wieder auf das Flussbett und in der Ferne wurden langsam die ersten Häuser sichtbar. Als wir den Ort erreichten, wunderten wir uns zunächst über die leeren, ausgestorbenen Gassen. Dann fiel uns plötzlich wieder ein, dass wir erst den alten Ortskern durchqueren und noch gute 20 Minuten bis zum neuen Ortskern laufen mussten. Die Sonne war schon fast vollständig untergegangen, als wir endlich ankamen. Man merkt sofort, dass Jomsom größer und touristischer ist als alle anderen Städte auf dem Trek. Die Stadt hat so um die 1.400 Einwohner und an einer breiten Hauptstraße reihen sich haufenweise Lodges und Shops aneinander. Wir gingen in einige der Lodges, um uns Zimmer zeigen zu lassen, aber einige davon waren bereits voll ausgebucht und in den Anderen verlangte man unverschämt hohe Preise. Etwas verwirrt sprachen wir auf der Straße ein paar Trekker an, die uns erzählten, dass die Preise für Jomsom wohl normal seien. Letztendlich fanden wir eine ganz nette Unterkunft, in der wir sogar allen Ernstes ein richtiges Bad mit heißer (!) Dusche auf dem Zimmer hatten. Der Spaß kostete uns ganze 13,- Euro, was für den Annapurna Circuit echt verdammt teuer war. Trotzdem kam uns die Dusche nach den Sandstürmen natürlich ziemlich gelegen. Drei Mal habe ich meine Haare gewaschen und selbst danach kam noch Sand gerieselt.