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Der Weg ist das Ziel

Als wir vor zehn Tagen in Christchurch angekommen sind, hat sich für uns so einiges gegenüber unserer bisherigen Reise geändert. Zum Einen ist Neuseeland viel teurer als Asien. Statt einem gemütlichen, privaten Zimmer haben wir jetzt nur noch Zimmerchen mit nichts mehr als einem Doppelstockbett und mit Gemeinschaftsbad. Und statt drei Mal täglich essen gehen heißt es jetzt Selbstversorgung und Kochen in der Hostelküche. Zum Anderen sind wir nicht in Neuseeland, um uns Städte und Sehenswürdigkeiten anzuschauen, sondern um die Natur zu genießen. Für uns stand von vornherein fest, dass wir hier völlig frei und flexibel sein wollten. Wir wollten nicht an Busfahrpläne und festgelegte Routen gebunden sein, sondern die Möglichkeit haben, kleine Abstecher zu machen oder einfach mal am Straßenrand zu halten, um die traumhafte Landschaft zu bewundern. Deswegen haben wir uns ein Auto gemietet, mit dem wir jetzt sechs Wochen das Land unsicher machen können. Eine weitere Veränderung ist das Wetter, das für uns jetzt eine viel größere Rolle spielt. Wenn man durch Städte schlendert, sind Kälte und Regen zwar nicht schön, aber man kann sich damit arrangieren. Beim Wandern ist das aber anders. In Neuseeland gibt es nur Sommer und Winter und da wir uns hier auf der anderen Erdhalbkugel befinden, beginnt gerade der Winter und das Wetter ist absolut unberechenbar. Das wussten wir natürlich schon vorher, aber hätten wir unsere Reise mit Neuseeland begonnen, wären wir in Südostasien im Monsun gelandet und so schien uns der Winter hier das geringere Übel.

Nachdem wir in Christchurch gelandet sind, wollten wir uns nicht sofort auf den Weg in die Wildnis machen, sondern der Stadt erstmal einen Besuch abstatten. An das Autofahren mussten wir uns hier ja schließlich auch erst gewöhnen, denn obwohl wir uns in Thailand, Malaysia, Japan und Australien schon mit dem Linksverkehr vertraut gemacht haben, ist es ja doch ein Unterschied selbst am Steuer zu sitzen. Christchurch selbst hat jedoch nur wenig zu bieten und das Wichtigste hat man schnell gesehen. Im Jahr 2011 gab es hier ein verheerendes Erdbeben und noch heute liegt der Großteil des Stadtzentrums in Trümmern. Die Wohnviertel sind inzwischen wieder schick, aber in der Innenstadt gibt es im Wesentlichen nicht viel mehr als eingestürzte Gebäude, Baustellen und jede Menge Gänsehaut-Feeling. Inmitten des ganzes Chaos findet man die Re:Start Container-Mall – ein Dutzend Schiffscontainer, die in Läden und Cafés verwandelt worden. Vom Zentrum aus sind wir weiter in den botanischen Garten geschlendert und als wir nachmittags immer noch genügend Zeit hatten, haben wir die Freiheit des eigenen Fahrzeugs genutzt und sind an den Strand gefahren, wo wir bei der untergehenden Sonne Surfer beobachten konnten.

Von Christchurch aus wollten wir eigentlich zum Lake Tekapo fahren, ein türkisblauer Gletschersee, der sich in der Mitte der Südinsel vor den Südalpen erstreckt. Aber mit der Freiheit des Autos steht uns alles offen und je nach Lust und Wetter ändern sich unsere Pläne teilweise täglich. Letztendlich haben wir uns entschieden, an dem See nur einen Zwischenstopp zu machen und sind dann weiter zum Mount Cook gefahren, den höchsten Berg Neuseelands. Vor dem Berg erstreckt sich ein langes Tal, in dem ein kleines Dorf mit 200 Einwohnern liegt. Neben den Häusern der Einwohner findet man nichts außer ein paar kleinen Hotels und Hostels – selbst der nächstgelegene Supermarkt ist ganze 70 km entfernt. Was für ein idyllischer Ort! Es schien das perfekte Plätzchen zu sein, um die Alpen zu bestaunen – vorausgesetzt das Wetter stimmt. Aber als wir früh zum Gletschersee am Fuß des Mt. Cook wandern wollten, hingen die Wolken leider bis ins Dorf und es hat ununterbrochen geregnet. Nach einigem Zögern haben wir uns dennoch entschieden, den vierstündigen Fußmarsch in Angriff zu nehmen und zur Not einfach wieder umzukehren. Auf dem Weg durch das Tal konnten wir nur vermuten, wie sich um uns herum die Berge erheben, denn außer einer dicken Wolkenwand haben wir nichts, aber auch gar nichts von den Bergen gesehen. Trotzdem war die Strecke schön zu laufen und unsere Kleidung hat dem Wetter glücklicherweise einigermaßen Stand gehalten. Der Gletschersee war ohne den dazugehörigen Gletscher nicht weiter spannend und so haben wir uns nach einer kurzen Pause auch gleich wieder auf den Rückweg gemacht. Dort sind dann ab und zu die Wolken mal kurz ein kleines Stückchen aufgerissen und plötzlich tauchten aus dem Nichts direkt neben uns gigantische schneebedeckte Berge und dicke Eisschichten auf. Da bleibt einem kaum etwas anderes übrig als stehen zu bleiben und voller Ehrfurcht so lange zu staunen, bis die Wolken nur wenige Augenblicke später wieder alles verdecken.

Gletschersee im Hooker Valley mit vielleicht 20 von 3.724 Metern Mt. Cook
Gletschersee im Hooker Valley mit vielleicht 20 von 3.724 Metern Mt. Cook

Die Region um den Lake Tekapo und Mt. Cook Village bildet außerdem das größte International Dark Sky Reserve der Welt, denn der Nachthimmel wird kaum von künstlichem Licht beeinflusst. Bei wolkenlosem Himmel findet man hier den schönsten Sternenhimmel überhaupt. Wir hatten zwei Nächte, um unser Glück zu versuchen und in der zweiten Nacht hat sich der Himmel tatsächlich etwas aufgeklart. Und so kam es, dass wir mitten in der eiskalten Nacht auf der dunklen Straße standen und fasziniert in den Himmel starrten, bis unsere Nacken schmerzten.

Als uns am nächsten Morgen die Sonne anlachte, konnten wir einfach nicht anders, als den gleichen Wanderweg vom Vortag noch einmal zu laufen in der Hoffnung, diesmal den Ausblick auf die Berge genießen zu können. Obwohl an dem Tag schönes Wetter war, hatten sich aber trotzdem noch einige Wolken im Tal verfangen und die Aussicht damit stark eingeschränkt. Den Mt. Cook konnten wir somit leider nicht sehen, dafür aber Teile von anderen großen Bergen.

Mittags haben wir uns dann wieder ins Auto gesetzt und sind nach Te Anau gefahren, wobei wir wieder an einigen Seen- und Berglandschaften gehalten haben. Te Anau ist eine Stadt direkt am Fjordland im Süden und Ausgangspunkt für zahlreiche Ausflüge und Wanderungen. Im Fjordland befindet sich unter anderem der berühmte Milford Sound, der sich 15 km von der Tasmanischen See ins Landesinnere zieht und von bis zu 1700 m hohen Felswänden gesäumt wird. Die Felsen sind von Regenwald bedeckt, denn der Milford Sound gehört zu den regenreichsten Gebieten der Erde. Bei gut 270 Regentagen im Jahr ist es fast unmöglich, den Fjord bei Sonnenschein zu sehen, aber dafür gibt es hunderte von kleinen Wasserfällen und wenn doch einmal Sonne durchdringt, dann bildet sich im Fjord ein Regenbogen.

Von Te Anau führt eine 120 km lange Straße durch das Fjordland zum Milford Sound, die umgeben ist von atemberaubender Landschaft. Bei schönem Wetter kann man hier viele Stopps einlegen und wandern gehen. Den Milford Sound selbst kann man jedoch nur per Bootstour erkunden, was wir uns natürlich nicht haben nehmen lassen. Und so sind wir 6.30 Uhr in der Dunkelheit bei starkem Nebel (oder waren es Wolken?) losgefahren und haben uns die vielen Zwischenstopps für den Nachmittag aufgehoben. Am Milford Sound stiegen wir dann in unser Tourboot und fuhren eine Stunde bei erfreulich guter Sicht durch den Fjord zur Tasmanischen See, wobei wir aus dem Staunen gar nicht herausgekommen sind. Aber kaum hat das Boot gewendet, änderte sich das Wetter schlagartig. Es zogen Windböen auf, der Fjord füllte sich mit Wolken und irgendwann setzte sogar der Regen ein. Trotzdem haben wir uns den Spaß nicht nehmen lassen, sind als Einzige auf dem Deck geblieben und selbst als das Boot bis auf wenige Meter an einen großen Wasserfall herangefahren ist, sind wir standhaft geblieben und haben uns das Wasser ins Gesicht wehen lassen.

Milford Sound
Milford Sound

Neben dem Milford Sound hat auch der Milford Track Berühmtheit erlangt. Der Milford Track ist einer der sogenannten Great Walks. Das sind Wanderwege für mehrtägige Touren, die durch die schönsten Landschaften Neuseelands führen, die mit dem Auto nicht erreichbar sind. Der Milford Track zum Beispiel führt vom Lake Te Anau durch das Fjordland zum Milford Sound und soll der schönste Wanderweg der Welt sein. Für die Great Walks braucht man 3-5 Tage und unterwegs schläft man in Hütten oder im Zelt. Die gesamte Ausrüstung (Kleidung, Verpflegung, Zelt usw.) trägt man selbst. Die Great Walks erfreuen sich großer Beliebtheit, aber man muss sich vorher anmelden, da nur so viele Wanderer zugelassen sind wie es auch Schlafplätze gibt. In der Regel sind alle Plätze ein halbes Jahr vorher restlos ausgebucht und genau das ist auch der Grund, warum wir den Milford Track leider nicht machen konnten, obwohl wir eigentlich gerne gewollt hätten. Im Fjordland gibt es aber noch zwei weitere der insgesamt neun Great Walks und bei beiden kann man ein paar Kilometer als Tagesmarsch wandern. Also sind wir wenigstens ein paar Stunden auf dem Kepler Track durch dichten Regenwald zu einem schönen, ruhigen See gelaufen.

All das führt uns zum Titel dieses Beitrags: Der Weg ist das Ziel. Oftmals erreichen wir hier unser eigentliches Ziel überhaupt nicht oder – wie im Fall Mt. Cook – es ist nicht zu sehen. Aber der Weg dorthin entschädigt alles. Das trifft auch genau auf unsere Autofahrten zu. Wir nehmen nicht immer den direkten Weg von A nach B, sondern fahren teilweise Dutzende von Kilometern Umweg, einfach weil die längere Strecke nicht geradewegs durch Städte führt, sondern durch die atemberaubende Landschaft. So braucht man schnell mal einen ganzen Tag für 300-400 km, aber dafür konnte man unterwegs sooo viel staunen. Die Seen sind gewaltig und doch oft spiegelglatt, im Hintergrund erstrecken sich die Bergketten und überall gibt es Felder mit unzähligen Schafherden. Und dabei ist der Ausdruck „Herde“ hier weit untertrieben, denn es ist einfach unfassbar, wie viele Schafe es hier gibt. Laut Zählungen sollen es um die 33 Mio. sein, was so viel bedeutet wie dass auf jeden Einwohner Neuseelands sieben Schafe kommen. Da bleibt einem nichts anderes zu sagen als ein kräftiges „Määäähhh“ – oder „Baaaaa“, wie die Schafe hier machen.

Baaaaa!
Baaaaa!

– Tini & Fab