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Das kulturelle Zentrum Japans

Als es vor der Reise darum ging, sich etwas über potentielle Zielländer zu belesen, war ich für Japan zuständig. Beim stundenlangen, ermüdenden Durchwälzen des Reiseführers bin ich auf zahlreiche interessante und sehr reizvolle Orte und Gegenden gestoßen, die ich nur zu gerne alle auf die To-Do-Liste gesetzt hätte. Besonders das kalte Hokkaido im Norden und die Vulkanlandschaften im Süden Japans haben ihre Finger nach mir ausgestreckt, aber eine Stadt wollte ich ganz besonders gerne sehen. Eine Stadt in Japan, die jeder Tourist sehen möchte. Eine Stadt, die vollkommen überlaufen ist – und das nicht ohne Grund. Die Kulturhauptstadt Japans, das absolute Non-Plus-Ultra: Kyoto. Eine Stadt voller Tempel, Schreine und wunderschönen alten Gassen. Frauen wie Männer in Kimonos, soweit das Auge reicht, Kirschbäume an so gut wie jeder Straße und gemütliche Parks mit Teehäusern, in denen man traditionelle Teezeremonien verfolgen kann. Und trotzdem ist mit diesen alten Traditionen die Moderne so elegant vereint, dass man kaum den Übergang erkennen kann. Kyoto hat einen der modernsten Bahnhöfe der Welt, neben der alten Burg und dem Kaiserpalast findet man Shoppingmalls, riesige Spielecenter und noch so einiges mehr. Eins war klar: wenn wir schon zur Kirschblüte in Japan sind, dann müssen wir während der vollen Blütezeit genau dort hin. Aber genau das haben sich viele Andere auch gedacht. Es war eine scheinbar hoffnungslose Angelegenheit…

Um trotzdem irgendetwas von Kyoto zu sehen, quartierten wir uns für eine Woche im ca. 150 km entfernten Nagoya ein und besorgten uns für jene Woche noch in Kuala Lumpur den Japan Rail Pass. Japan ist bekannt für seine Shinkansen-Züge, die zu den Schnellsten der Welt gehören. In wenigen Stunden kann man mit ihnen Großteile des Landes durchqueren und dabei auch noch unglaublichen Komfort genießen. Mit dem Japan Rail Pass kann man je nach Wunsch und finanziellen Möglichkeiten eine, zwei oder drei Wochen lang unbegrenzt so weit und so viel man möchte mit den staatlichen Zügen fahren, sowohl mit den normalen lokalen Zügen als auch mit den meisten Shinkansen. Ausgeschlossen sind lediglich die zwei schnellsten Shinkansen, die mit ca. 300-340 km/h durch das Land brausen und nur in den Metropolen halten. Aber selbst der Hikari, mit dem wir größtenteils unterwegs waren, ist mit gut 270 km/h unterwegs und so konnten wir die 150 km von Nagoya nach Kyoto in 37 Minuten zurücklegen und bequeme Tagestrips dorthin machen. Den Japan Rail Pass gibt es aber ausschließlich für ausländische Touristen und deswegen kann man ihn innerhalb Japans überhaupt nicht erwerben, sondern nur bei lizensierten Reiseagenturen im Ausland, wie eben glücklicherweise auch in Kuala Lumpur.

Und so kam es, dass wir uns doch noch vier Tage lang Kyoto anschauen konnten. Eigentlich war es gar nicht geplant so oft dorthin zu fahren, aber an zwei Tagen hat es leider so stark geregnet, dass wir unseren Ausflug bis auf die Haut durchnässt abbrechen mussten. Nachdem uns bereits an den Tagen zuvor Regen in die Quere gekommen war, waren wir glücklicherweise so geistesgegenwärtig, gleich den ersten Tag in Kyoto, an dem es richtig schön sonnig und angenehm warm war, für einen ausgiebigen Spaziergang im Osten der Stadt zu nutzen, wo all die traditionellen Schönheiten aufeinandertreffen. Von kleinen versteckten Schreinen über große Tempel, die würdevoll auf Bergen thronen und über die ganze Stadt blicken bis hin zu Parks und alten Gassen mit wunderschönen japanischen Holzhäusern findet man dort alles, sofern man nicht vor einem ordentlichen Fußmarsch zurückschreckt.

Kyoto vom Kiyomizu-dera
Kyoto vom Kiyomizu-dera

Aber wenn alle Hotels der Stadt ausgebucht sind, sind eben leider auch Unmengen an Menschen unterwegs, die genau die gleichen Ziele haben wie man selbst auch. Und leider zerstört das ganz schön die Atmosphäre, sei es nun wegen dem Gedränge, der ganzen Selfie-statt-Genießen-Mentalität oder weil die Menschen einfach so unfassbar respektlos sind, dass sie noch nicht einmal davor zurückschrecken, sich am Tempelbrunnen mit dem heiligen Wasser ihre Trinkflaschen aufzufüllen. Doch während die meisten Touristen mit dem Bus von der einen Reiseführer-Empfehlung zur nächsten fahren, sind wir hauptsächlich zu Fuß unterwegs und dadurch entdecken wir so manche Ecke, die nicht weniger schön, aber dafür menschenleer ist.

Kyotos historischer Distrikt Higashiyama hat wunderschöne alte Gassen
Kyotos historischer Distrikt Higashiyama hat wunderschöne alte Gassen

Richtig schön ist auch der Nordwesten Kyotos, rund um Arashiyama. Dort befindet sich ein Wald aus Bambusbäumen, durch den ein schöner Pfad führt. Außerdem befindet sich auf einem kleinen Berg ein Park mit einer schönen Aussicht auf das angrenzende Tal, das von einem Fluss durchzogen wird. Wenn man den Berg auf der anderen Seite hinunterläuft, kommt man an eine Stelle des Flusses, wo Dutzende von Ruderbooten unterwegs sind. Die umliegenden Berge sind allesamt dicht mit Mischwald bewachsen und selbst diese sind gespickt mit zahlreichen Kirschbäumen.

Bambuswald in Arashiyama, Kyoto
Bambuswald in Arashiyama, Kyoto

Glücklicherweise ist unser Plan genau aufgegangen; als wir in Kyoto ankamen, standen die Kirschbäume in voller Blüte. Hunderte von Menschen haben in den Parks unter den Kirschbäumen ihr Picknick genossen, viele Hochzeitspaare waren für Fotoshootings unterwegs und ständig musste man anhalten um zu staunen.

Kirschblüte in Kyoto
Kirschblüte in Kyoto
Hanami (das Kirschblütenfest) im Maruyama Park, Kyoto
Hanami (das Kirschblütenfest) im Maruyama Park, Kyoto

An den übrigen Tagen in Kyoto haben wir uns noch weitere Tempel, die Burg und den Kaiserpalast angeschaut. Abends konnten wir auf dem Rückweg im Shinkansen die Füße entspannen und die vorbeirauschende Landschaft bewundern. Die Zuglinie führt vorbei an vielen kleinen Ortschaften und verschlafenen Nestern, hinter denen sich Berglandschaften erheben. An den schönen Tagen konnte man bei kilometerweiter Sicht teilweise noch den Schnee auf den Kuppen erkennen und an den verregneten Tagen hingen die Wolken so tief, dass sie sich in die vielen Täler verirrten und einen faszinierenden Anblick boten.

Der Fushimi-Inari-Schrein in Kyoto ist bekannt für seine Wege, die aus tausenden von roten Torii (so nennt man die Eingangstore von Shinto-Schreinen) bestehen, die bis zur Spitze des Berges hinaufführen und allesamt gespendet worden
Der Fushimi-Inari-Schrein in Kyoto ist bekannt für seine Wege, die aus tausenden von roten Torii (so nennt man die Eingangstore von Shinto-Schreinen) bestehen, die bis zur Spitze des Berges hinaufführen und allesamt gespendet worden.

Mit unserem Japan Rail Pass konnten wir außerdem noch einen Tagesausflug mit einer etwas größeren Entfernung in Angriff nehmen. Etwa 90 Minuten dauerte die Fahrt von Nagoya ins gut 300 km entfernte Himeji, das dafür bekannt ist, die größte und schönste Burg Japans zu haben. Das Burggelände ist riesig und beherbergt mehrere hundert Kirschbäume, die auch hier in ihrer vollen Blüte standen. Die Burg selbst steht auf einem Hügel und so zieht sich das ganze Gelände über mehrere Ebenen, von denen aus man das Meer von weißen und rosa Blüten bewundern kann. In die Burg kann man auch hineingehen, aber viel zu sehen gibt es dort nicht. In den japanischen Burgen gibt es keine Möbel und die gab es auch nie wirklich. Das Statussymbol waren hier vielmehr die Wandmalereien, was auch der Grund dafür ist, dass man an den meisten Wänden Abbilder von Tigern und Bambus findet. Bambus ist gewinnbringend und Tiger sind majestätisch, aber zugleich furchteinflößend. Die Burg von Himeji erstreckt sich jedoch über mehrere Etagen, in denen es kaum abgetrennte Zimmer und dementsprechend auch keine bemalten Wände gibt (an den Außenwänden sind ja Fenster). Außerdem quetschen sich auch hier massenweise Menschen durch die Räume, sodass man gar keine Zeit zum Schauen hat, sondern ständig weitergeschoben wird. Da gibt es durchaus schönere Burgen. Von außen jedenfalls glaube ich gerne, dass die Burg von Himeji die Schönste ist.

Burg Himeji
Burg Himeji

Von Nagoya selbst haben wir letzten Endes leider gar nicht viel gesehen, obwohl die Stadt durchaus so Einiges zu bieten hat. Aber Burgen und Parks und Tempel und Schreine und sogar Kirschbäume haben wir in den letzten Wochen ja genug gesehen und so war es auch nicht schlimm, dass wir uns auf den Weg zum nächsten Hotel in einem kleinen Nest nahe dem Flughafen von Osaka gemacht haben, von dem aus unser Flug zurück nach Kuala Lumpur gehen sollte. Eigentlich wollten wir das Hotel als Ausgangspunkt für einen Ausflug nach Osaka nutzen, aber dummerweise stellte sich heraus, dass es so weit ab vom Schuss liegt, dass wir uns Osaka doch lieber für ein anderes Mal aufgehoben haben. Stattdessen begnügten wir uns damit, zum nahegelegenen Stausee zu spazieren und einmal am Tag mit dem kleinen Dorfbus (ein 10-Sitzer, in dem wir meist die einzigen Fahrgäste waren) zum 5 km entfernten Supermarkt zu fahren und uns von den Einwohnern anstarren zu lassen, die auf ihren Straßen wahrscheinlich noch nie Ausländer gesehen haben. Den Rest der Zeit verbrachten wir im Hotel. Aber auch das war nicht weiter schlimm, denn das Hotel versprach Spiel, Spaß und Spannung. Mit Whirlpool, Karaokeanlage, großem Flatscreen und einer Wii auf dem Zimmer ist es – so dachten wir jedenfalls – das ideale Hotel, um nach einigen anstrengenden Wochen mal zwei Tage zu entspannen. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass es sich hierbei um eine Art Hotel handelt, die noch viel mehr Spaß bietet als wir erwartet hatten…

– Tini